Ein Beitrag der Teilnehmerin Marie Lampe
Eines vorweg: Ich hatte völlig unterschätzt, wie schön wandern sein kann. In meinem Kopf verband ich es mit verbissen dreinblickenden Gestalten, auf dem Rücken den Treckingrucksack, vor dem Gesicht die Landkarte. Keine Aktivität, die es für diesen Sommer auf meinen Plan geschafft hätte. Doch dann stieß ich auf die Ausschreibung des DBSV: Sechs Tage wandern, jeden Tag an einem anderen Ort übernachten, und das möglichst ohne sehende Unterstützung. Stattdessen sollten uns verschiedene Apps beim Finden der Wege helfen. Verlaufen inklusive. Das klang nach einem kleinen Abenteuer, und so beschloss ich, zum ersten Mal für eine Woche wandern zu gehen.
Samstag: Anreise nach Aalen
Am 23.08. schulterte ich also meinen großen Wanderrucksack, der mich schon seit Internatszeiten begleitet und nun endlich seiner eigentlichen Bestimmung nachkommen durfte. Unsere aus allen Teilen Deutschlands angereiste Gruppe traf sich in Aalen in Baden-Württemberg. 18 waren wir insgesamt, davon drei sehende Unterstützer*innen. Diese hatten aber den klaren Auftrag, während der Wanderung nur dann einzugreifen, wenn es wirklich nötig sein sollte.
Wir teilten uns in drei Gruppen. Die erste Gruppe bestand aus denjenigen, die noch ein Restsehvermögen zur Orientierung nutzten. Gruppe 2 zählte sich selbst zu den schnellen, Gruppe 3 eher zu den gemütlichen Läufer*innen.
Nach einem reichhaltigen Abendessen in der Aalener Bierhalle stellten wir sicher, dass Komoot richtig funktionierte. Komoot ist eine App zum Planen von Wander- und Fahrradtouren. Es gibt einige vorgefertigte Touren, man kann aber auch selbst welche erstellen. Die App sollte uns hauptsächlich durch die nächsten Tage begleiten. Natürlich konnten auch andere Apps und Gadgets ausprobiert werden. Eine Teilnehmerin nutzte beispielsweise den Navigürtel von Feelspace als Kompass. Ich war gespannt, ob sich meine Rayban Meta Glasses als hilfreich erweisen würden.
Sonntag: Von Abtsgmünd nach Sulzbach am Kocher (17,6 km)
Unsere erste Tour war zugleich auch die längste. Zunächst fuhren wir gestaffelt nach Abtsgmünd, um von dort aus nach Sulzbach zu wandern. Komoot schätzte die Dauer unserer Wanderung auf 4 Stunden und 57 Minuten. Toll, dachte ich, dann haben wir ja später noch richtig was vom Nachmittag.
Mit Komoot lassen sich Touren nicht nur planen, die App besitzt auch eine sprachgestützte Navigation. Man kann also theoretisch das Smartphone aus der Hand legen und einfach den Anweisungen folgen. Wie bei allen anderen navigations-Apps bietet es sich aber an, immer mal wieder die Distanz zum nächsten Punkt im Auge zu behalten. So stellt man sicher, dass man nicht schon seit ein paar Minuten in die falsche Richtung unterwegs ist.
Nachdem wir hier und da mal in die falsche Straße eingebogen waren und uns selbst wieder auf den richtigen Weg navigiert hatten, spürten wir endlich Waldboden unter unseren Füßen. Hier verlief die Navigation wesentlich entspannter. Es macht einen Unterschied, ob man gefühlt alle 200 m die Straßenseite wechseln muss, oder einfach mal für 1,5 km dem Weg folgen kann.
Die Morgensonne strahlte uns entgegen, 22 °C sollten es heute werden, perfektes Wanderwetter. Im Laufen schoss ich ein paar Fotos mit meiner Brille und ließ sie mir von Meta AI beschreiben. Viele Bäume, ein paar kleine Wolken am Himmel, ein paar Kühe etwas weiter entfernt. Wunderschön!
Dann kam die erste Steigung. Auch das lässt sich vorher in Komoot überprüfen, nur leider nicht wirklich barrierefrei. Heißt: Man kann sehen, für wie viele Meter es Berg auf- und ab geht, und wo der niedrigste und höchste Punkt ist. Aber die Zahlen werden von VoiceOver nacheinander vorgelesen und man muss sich merken, welche Zahl für was steht. Außerdem lässt sich nicht ermitteln, an welchen Wegpunkten diese Steigungen vorkommen. Dabei stellt Komoot das eigentlich sehr detailliert da. Man kann sogar sehen, welcher Untergrund an welcher Stelle des Weges vorhanden ist. Menschen, die die Karte nicht sehen können, müssen sich jedoch mit einer Zusammenfassung begnügen.
Ich kam jedenfalls ziemlich schnell ins Schwitzen. An meiner Kondition hatte ich in den Wochen zuvor noch gearbeitet, allerdings nicht mit 15 kg Gepäck auf dem Rücken. Und was genau brachte mich eigentlich zu der Annahme, 1 l Wasser würde für diesen Weg völlig ausreichen?
Mit Proviant hatten wir uns am Vorabend noch im Supermarkt eingedeckt. Äpfel, Bananen und Müsliriegel standen dabei besonders hoch im Kurs.
Endlich ging es wieder ein Stück bergab. Und das musste wohl dieser lose Untergrund sein, der mir von der Komoot-App für insgesamt 6,6 km unseres Weges vorhergesagt wurde. Ganz schön rutschig. Hoffentlich waren wir hier überhaupt richtig. Komoot kündigt zwar an, dass man in einigen Metern nach links oder rechts abbiegen muss, aber gerade bei Weggabelungen weiß man immer erst hinterher, ob man wirklich die richtige erwischt hat. Ist man völlig vom Weg abgekommen, bekommt man einen Hinweis. Komoot sagt dann „schau auf die Karte“, und man muss selbst wieder zur Route zurückfinden. Wenn man es geschafft hat, bekommt man das ebenfalls mitgeteilt.
Wir waren richtig. Schritt für Schritt tasteten wir uns den doch sehr steilen Abhang hinunter. Unser sehender Begleiter wies uns darauf hin, dass an einigen Stellen ein Seil gespannt war, an dem wir uns festhalten konnten. Darüber hinaus hielt er sich aber im Hintergrund. Sicherlich war es das eine oder andere Mal gar nicht so einfach, nichts zu sagen. Er hatte schließlich die Karte vor Augen und wusste genau, ob wir gerade die richtige oder falsche Entscheidung für den Weg trafen. Aber wir wollten das selbst herausfinden, mit allen Konsequenzen.
Eine der Konsequenzen war, dass wir nach vier Stunden gerade einmal 5 km unseres Weges geschafft hatten. Damit hatte keiner so wirklich gerechnet. Klar, die geschätzte Zeit hätten wir nur erreicht, wenn wir konstant das Lauftempo gehalten, uns nicht verlaufen und keine Pausen gemacht hätten. Und eine Pause brauchten wir alle nach dem Abstieg. Es war aber auch schwierig, einzuschätzen, wie viel Zeit der Rest des Weges in Anspruch nehmen würde. Auf einigen Untergründen lässt es sich schneller laufen als auf anderen, und eben diese lassen sich in Komoot blind nicht einsehen.
Wir erreichten unser Hotel in Sulzbach gegen 20:00 Uhr, also nach knapp 10 Stunden. Am schnellsten hatte es die Gruppe mit Sehrest in etwa 7 Stunden geschafft. Zum Glück war das hier kein Wettbewerb, aber trotzdem ein spannender Vergleich.
Beim Abendessen wurden die ersten Erfahrungen ausgetauscht. Wir waren nicht nur alterstechnisch eine gemischte Gruppe, auch unsere Wandererfahrung unterschied sich stark voneinander. Es gab Menschen wie mich, für die das hier eine Premiere war, und jene, für die Wandern zum Urlaub einfach dazu gehört. Manche waren bisher nur kürzere Strecken gelaufen, andere hätten am liebsten nochmal 18 km draufgelegt. Niemand wurde verurteilt oder belächelt. Das war sehr angenehm.
Montag: Von Sulzbach am Kocher nach Bühlertann (14,5 km)
Am nächsten Morgen hieß es bereits wieder Rucksäcke packen und auf zur nächsten Etappe. Um den Einkauf brauchten wir uns diesmal keine Gedanken zu machen, denn wir bekamen gut gefüllte Lunchpakete vom Hotel mit auf den Weg.
Komoot versprach eine etwas geringere Steigung als gestern und eine Dauer von 3 Stunden und 54 Minuten. Zunächst mussten wir den Wanderweg finden, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Doch dann ging es, wie bereits gestern, durch den Wald und auch mal über das eine oder andere Feld. Hier zeigte sich, dass die Kombination verschiedener Apps sinnvoll sein kann.
Einige Teilnehmer*innen benutzten Apps wie Myway Pro oder Seeing Assistant Go. Diese wurden speziell für blinde Menschen entwickelt und bieten eine sehr präzise Navigation. Es ist möglich, eigene Routen zu erstellen, man kann aber auch Routen aus Komoot importieren. Die Apps erstellen daraus dann Wegpunkte und man wird von Punkt zu Punkt geleitet. Myway Pro meldet dann beispielsweise, dass sich der nächste Punkt auf 3 Uhr befindet. Man dreht sich also nach rechts, bis er auf 12 Uhr ist, und läuft in die entsprechende Richtung. Genau so erkennt man, dass man in die falsche Richtung unterwegs ist, wenn sich der Punkt plötzlich auf 6 oder 7 Uhr befindet. Ein extrem hilfreiches Tool, gerade für weitläufige Plätze oder eben Wiesen und Felder.
In unserer Gruppe spielte sich bald eine Dynamik ein. Andreas, der gerne nach Wegen und Abzweigungen suchte, lief mit Komoot voraus. Wenn Komoot eine Abbiegung meldete, probierte er sie aus. Robbie lief mit Myway Pro weiter hinten. Waren wir uns unsicher, welche Abzweigung wir nehmen sollten, verließen wir uns auf ihn. Das klappte meistens ganz gut, und so kamen wir heute schneller voran.
Mein persönlicher Endgegner des Tages waren Dornen und Brennnesseln. Das kühlende Gel mit Menthol und Hanf wandert beim nächsten Mal definitiv wieder ganz oben auf die Packliste.
Auch die Meta Glasses kamen heute nicht nur für schöne Fotos zum Einsatz. Einmal standen wir vor einem rauschenden Bach oder Fluss. Sowohl Komoot als auch Myway Pro zeigten geradeaus, aber vor uns hörten wir nur Wasser. Hier musste also eine Brücke sein, aber auch eine Menge Gestrüpp. Ich fragte also meine Brille, ob sie in meiner Umgebung eine Brücke sehen konnte, und tatsächlich: leicht rechts vor mir sollte sich eine befinden. Ich fand sie schließlich mit dem Stock und wir schafften es mühelos auf die andere Seite.
Um 18:30 Uhr, nach 8 1/2 Stunden Wanderung, betraten wir pünktlich zum Abendessen unser Hotel in Bühlertann. Besonders die letzten Kilometer hatten uns noch einmal einiges an Kraft und Zeit gekostet. Umso schöner war die Aussicht auf eine etwas kürzere Strecke am nächsten Tag.
Dienstag: Von Bühlertann nach Vellberg (8 km)
Unsere kürzeste Wanderung führte uns ins beschauliche Vellberg. Eigentlich kann man hier eher von einem Spaziergang sprechen, denn uns erwarteten reine Asphaltwege und so gut wie keine Steigung. Meine Füße freute das. Auch die Navigation funktionierte heute problemlos. Unsere größte Herausforderung war eine Wiese, auf der sich, wie wir bald am eigenen Leib erfuhren, rechts und links ein Elektrozaun befand.
Wir brauchten etwa 4,5 Stunden für den Weg. Um 14:30 Uhr durchschritten wir das Tor zum Städtle. So wird der historische Stadtkern von Vellberg genannt. Er ist von einer Stadtmauer umgeben und sehr interessant für Fans von mittelalterlicher Architektur.
Den Nachmittag verbrachten wir dann ganz unterschiedlich. Einige gingen eis essen, andere entdeckten die Umgebung durch Geocaching. Das Abendessen nahmen wir in einem über 500 Jahre alten Gasthof, in dem sich auch eine Werkstatt für Tischharfen befindet, zu uns.
Mittwoch: Von Vellberg nach Hessental (12,3 km)
Heute starteten wir nicht in drei, sondern in vier Gruppen. Meine Füße protestierten trotz der entspannten Tour gestern nach wie vor bei jedem Auftreten und so beschloss ich, ihnen einen Tag Ruhe zu gönnen. Da war ich nicht die einzige, fünf von uns legten die Strecke in 15 Minuten mit dem Taxi zurück. Alle anderen trudelten gegen 17/18 Uhr im Hotel ein. Insgesamt war es wohl eine abwechslungsreiche Wanderung mit durchweg zufriedenen Rückkehrer*innen.
Donnerstag: Von Hessental nach Wolpertshausen (15,3 km)
Mit dem Wetter hatten wir diese Woche richtig Glück. Die Temperaturen bewegten sich immer im Bereich von 25 °C und Regen gab es auch keinen – bis heute. Entsprechend bereiteten wir uns vor. Wer keinen wasserfesten Rucksack besaß, packte seine Sachen in Mülltüten und anschließend wieder in den Rucksack. Das hielt sie trocken.
Die heutige Tour war wohl eine der herausforderndsten. Nicht nur, weil man sich wegen des Regens manchmal aus den Ohren verlor. Es gab wieder einige Steile Aufstiege und Abhänge. An einer Stelle war der Weg extrem schmal, links und rechts ging es ganz schön in die Tiefe. Hier waren also Konzentration und langsames Vortasten gefragt. Doch am Ende haben es alle geschafft. Da kann man schon mal stolz sein, finde ich.
Unsere Schmerzgruppe wandelte auch heute den Weg etwas ab, um fit für die letzte Tour zu sein. Wir checkten schon morgens im Hotel in Wolpertshausen ein, ließen einen Teil unserer Sachen dort und wanderten den anderen entgegen. Nach etwa einer Stunde trafen wir auf die erste Gruppe und liefen gemeinsam zum Hotel zurück. So hatten wir zwar die schwierigeren Stellen verpasst, aber am Ende immerhin 4 km zurückgelegt.
Freitag: Von Wolpertshausen nach Ilshofen (9 km)
Unsere letzte Etappe liefen wir dann aber wieder alle gemeinsam. Der krasseste Aufstieg erwartete uns heute gleich am Anfang. Zugegeben: Ich dachte für ein paar Momente, ich schaffe das nicht, meine Kondition ist doch nicht gut genug und ich werde auch heute wieder eine Alternative finden müssen. Aber der Körper leistet manchmal so viel mehr, als man ihm zutraut. Das ist auf jeden Fall eins meiner Learnings aus dieser Woche.
Danach ging es recht entspannt weiter. Eine Teilnehmerin drückte es sehr schön aus: „Wege, auf denen man einfach vor sich hin träumen kann.“ Okay, manchmal musste man doch aufwachen und den richtigen Pfad suchen, was sich auch heute nicht immer ganz einfach gestaltete. Aber Komoot, Seeing Assistant Go und der Navigürtel waren ein unschlagbares Team. Die Meta Glasses trugen heute nicht so viel bei, denn es gab kein Netz.
Um 16:00 Uhr erreichten wir einen kleinen Park, in dem unser Hotel lag. Komoot gratulierte hier schon zum Abschluss der Wanderung und für die letzten Meter verließen wir uns auf die anderen Apps. Und dann hatten wir es tatsächlich geschafft: 80 km in sechs Tagen, für einige zwar mit Anpassungen, aber am Ende waren alle am Ziel angekommen. Und das ist schließlich, was zählt. Nicht, dass man über seine Grenzen gegangen ist.
Das Resümee auf der Terrasse fiel entsprechend positiv aus. Alle hatten etwas dazu gelernt, sowohl über die verschiedenen Navigationsapps, als auch über ihre eigenen Stärken.
Der Offsight Navi- und Wandertreck war ein Experiment. Inwieweit schafft man es als blinder oder sehbehinderter Mensch, ohne sehende Unterstützung zu wandern? Hier fiel das Fazit eher gemischt aus. Komoot & co bringen schon gute Voraussetzungen mit, um uns mehr Unabhängigkeit auf solchen Touren zu ermöglichen. Doch gerade die fehlende Barrierefreiheit von Komoot sorgt häufiger für Unsicherheit, sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung einer Wanderung. Hier bräuchte es eine bessere Struktur, alternativen zur visuellen Darstellung und – meiner Meinung nach – ein anpassbares Sprachfeedback, sodass man häufiger darüber informiert wird, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Ohne unsere sehenden Begleiter*innen wäre es in jedem Fall deutlich schwieriger geworden und wir hätten uns vielleicht auf Menschen verlassen müssen, die wir unterwegs getroffen hätten. Was manche viel Überwindung kostet, gehört für andere zum Wandern genauso dazu, wie die Wanderschuhe.
Während unserer Touren trafen wir hin und wieder auch auf Menschen, die sich kaum vorstellen konnten, dass wir diese anspruchsvollen Wege schaffen. Denen können wir nun sagen: Doch, wir haben es geschafft. Mit Geduld, Willenskraft und gegenseitiger Unterstützung.
Danke an alle, die diese tolle Veranstaltung möglich gemacht haben. Nicht zuletzt durch die großartige Gemeinschaft war es eine unvergessliche Woche. Ich hoffe auf ein nächstes Mal.
18 vs Wald - Das war der Offsight Navi- und Wandertreck
- Sophie Heinicke
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- Registriert: 04.09.2019, 14:12
