Seite 1 von 1

Schreibwettbewerb: Warum ist die Brailleschrift wichtig?

Verfasst: 04.05.2025, 23:12
von Sophie Heinicke
Punktschrift ermöglicht etwas, das für viele selbstverständlich ist: unabhängig lesen, schreiben und lernen zu können. Sie macht es möglich, Bücher zu genießen, wichtige Dokumente selbstständig zu bearbeiten, Notizen zu machen oder einfach Einkaufslisten zu schreiben. Ohne Punktschrift wären Bildung und Berufsausübung für blinde Menschen viel schwieriger. Auch moderne Technologien wie Bildschirmlesegeräte und Smartphones ergänzen die Punktschrift – ersetzen sie aber nicht. Denn das aktive Lesen fördert nicht nur die Sprache und das Verständnis, sondern auch die Eigenständigkeit und das Selbstbewusstsein.

Braille ist weit mehr als eine alternative Schrift – sie ist der Schlüssel zur Teilhabe an unserer Gesellschaft. Sie öffnet Türen zur Kultur, zum Wissen und zur persönlichen Freiheit. Besonders in einer Welt, die zunehmend visuell geprägt ist, erinnert uns die Punktschrift daran, wie wichtig gleichberechtigter Zugang für alle Menschen ist.

Anlässlich des Jubiläums möchten wir einen kleinen Schreibwettbewerb veranstalten. Das Thema lautet: Warum ist die Brailleschrift wichtig und was bedeutet sie für euch?

Das gibt es zu gewinnen:
An die Kreativsten unter euch verlosen wir ein Jahresabo der Zeitschrift GEOlino in Braille, zwei Jahresabos für unsere Brücke sowie drei CDs unserer Emma-Geschichten.
Emma macht mit uns jeden Monat einen Ausflug in ihre Welt. Auf der CD erwarten euch einige ihrer Abenteuer, die fleißigen Leserinnen und Lesern bereits bekannt vorkommen könnten, jedoch auch einige neue Geschichten.

So könnt ihr teilnehmen:
Lasst eurer Kreativität freien Lauf! Schreibt uns einen kreativen Beitrag, eine Geschichte, ein Gedicht oder einen eigenen Erfahrungsbericht darüber, warum ihr die Brailleschrift für unverzichtbar haltet.
Ihr könnt darüber schreiben, wann und wie ihr sie erlernt habt, wo ihr sie nutzt, wo sie euch fehlt, was ihr gern lest, wie eine Welt ohne sie aussehen könnte oder vielleicht was ihr Louis Braille erzählen würdet, wenn er heutzutage vor euch stehen würde. Egal an was ihr denkt, schreibt es uns per Mail an s.heinicke@dbsv.org
Der Wettbewerb endet am 1. Juli.

Wir wünschen euch viel Glück und freuen uns auf eure Beiträge!

Louis und die Geheimschrift des Waldes

Verfasst: 05.08.2025, 12:51
von Sophie Heinicke
Im dunklen, verwunschenen Flauschwinkelwald, wo Eichhörnchen Nüsse alphabetisch sortieren und Schildkröten Yoga machen, lebte ein kleiner Maulwurf namens Louis. Louis war blind und dies schon seit Geburt.
Aber das machte ihm eigentlich nichts aus.
Er war flink mit den Pfoten, hörte besser als ein Reh, und konnte sich wie im Schlaf durch das Erdreich schlängeln, als wäre es ein Fünf-Sterne-Tunnelhotel.

Nur eines störte Louis: Er konnte keine Bücher lesen.
Im Flauschwinkelwald gab es nämlich eine berühmte Büchereieule, namens Clarabella. Sie war bereits 83 Jahre alt. Sie trug immer ihren strengen Dutt und eine Brille, welche dicker als Walnussschalen war.
Sie las den Tieren jeden Abend aus ihren Waldklassikern vor: “Der Fuchs und die Steuererklärung”, “1001 Kräutertees”, oder “Warum Biber nicht bibbern”.
Louis lauschte begeistert, ihren Geschichten, doch irgendwann wollte er mehr.

„Clarabella“, sagte er eines Abends, „könntest du mir bitte das Buch von gestern noch mal vorlesen?“
„Schon wieder?!“, krächzte Clarabella. „Inzwischen müsstest du jede Steuererklärung auswendig können. Du hast es schon dreimal gehört.“
„Ja, aber ich will selbst lesen können!“
Clarabella schob sich die Brille zurecht, nickte und sagte geheimnisvoll: „Dann musst du fühlen, was andere sehen.“

Louis dachte lange über Ihre Worte nach und überlegte, wie sie das gemeint haben könnte.
Es war als würde ihn ein Blitz durchfahren und so machte er sich ohne große Worte, direkt auf die Suche.
Zuerst versuchte er es mit Nüssen. „Eine Nuss für A, zwei Nüsse für B, eine große Walnuss für Z…“ Doch ein Eichhörnchen schrie panisch: „WAS MACHST DU DA? DAS IST MEINE WINTERVORSORGE!“ – und Louis wurde fast von einer Nusslawine begraben.

Dann testete er Rindenmuster. Er ritzte mit einem Stock kleine Linien in die Borke eines Baums – aber der Baum, war so hart, dass ihm nach nur ein paar Millimetern seine Pfoten wehtaten.

Als nächstes probierte Louis Käfer. Kleine, kitzlige, krabbelige Käfer, die er in Buchstabenformationen aufreihte. Das Problem: Sie liefen ständig davon oder fingen an wild umher zu krabbeln.

Schließlich, nach einem sehr anstrengenden Tag und einer Käferflucht, legte sich Louis erschöpft auf ein Stück Moos.
In der Pfote hielt er eine Dornranke – damit hatte er versucht, etwas in einen Kürbis zu schreiben, was jedoch schnell zu Ärger führte, da dieser Kürbis, einem Bären gehörte. Der Bär brüllte so laut, dass Louis Angst bekam und einfach losrannte.

Plötzlich spürte er unter seinen Pfoten, kleine, pieksende Pflanzen. Erst versuchte er sich einen Weg hindurch zu Bahnen, bis ihm plötzlich ein Geistesblitz durchfuhr.
Er drückte einen Dorn gegen ein Stück Rinde. Tack. „Autsch“, murmelte er – doch dann fühlte er den kleinen Punkt. Nur eine winzige Erhebung, aber gerade noch genug, um den Unterschied zu fühlen. Er machte noch einen. Dann zwei darunter. Drei nebeneinander. Und plötzlich hatte er eine ganze Seite voller fühlbarer Punkte!

Sein Herz machte einen Luftsprung.
In den folgenden Tagen erfand Louis sein eigenes System. Jeder Buchstabe bekam ein Punktemuster, das mit den Pfoten zu ertasten war:
A: ein einzelner Punkt oben links. Wie die Amsel, die er immer oben Links, auf dem Ast über sich hörte.
B: zwei Punkte übereinander, wie der brüllende Bär, der ihn zuvor Angst eingejagt hatte.
C: Punkte oben links und rechts, wobei er an die Eule Clarabella, mit Ihren ausgebreiteten Flügeln denken musste.
D: Drei Punkte wie ein Dachs, der auf einem Baumstamm steht und runter schaut.
E: Der Lieblingsbuchstabe von Eule Clarabella, bekam ein Ehrenmuster: Punkt 1 und 5 – Louis nannte es „E wie die Eule, die eine Geschichte vorliest“.

Bald kamen etliche neugierige Tiere zu ihm.
Die Schildkröte Sabine wollte ihre Meditationssprüche in Punkte stanzen. Der Dachs Dieter, ein heimlicher Romantiker, schrieb verschlüsselte Liebesbriefe an eine Stinktierdame. Selbst die sonst so chaotischen Waschbären begannen, Punktelisten ihrer geklauten Vorräte zu führen, damit kaum einer diese Lesen konnte.
Und Clarabella? Die war tief gerührt. „Louis“, sagte sie, „du hast nicht nur lesen gelernt. Du hast uns allen eine neue Sprache gegeben.“
Louis grinste – na ja, so gut das ein Maulwurf eben kann.

Heute gibt es im Flauschwinkelwald überall Punktschrift. Auf Beerenkörben (Vorsicht: Brombeeren! Machen Flecken.), auf Baumstämmen (Hier pinkelt der Waschbär, bitte nicht barfuß treten!), und sogar auf Pilzen (Nicht essen. Also wirklich nicht.)
Und auf einem besonders weichen Baumstumpf steht in fein geformten Punkten:
„Louis – der Maulwurf, der der Welt das Lesen mit den Pfoten schenkte.“

Moral: Manchmal sieht man mit den Augen nichts – aber mit Herz, Hirn und Humor findet man den Weg. Und vielleicht auch ein paar Punkte

(Einreichung zum Schreibwettbewerb von Alexa Martens)

Was Brailleschrift so unschätzbar wertvoll macht

Verfasst: 28.08.2025, 13:43
von Sophie Heinicke
Wenn einem das Augenlicht schon seit der Geburt fehlt oder auch später genommen wurde, stellen sich zwangsläufig viele Fragen zur optimalen Alltagsbewältigung. Eine davon lautet: Wie beschaffe ich mir Informationen oder den Zugang zu Literatur? Schließlich kann man die normale Schrift, von uns Blinden und Sehbehinderten gemeinhin als „Schwarzschrift“ bezeichnet, nicht mehr wahrnehmen. Wer keine Leseratte ist, dem ist das gewiss nicht so wichtig, weil man ja auf Hörbücher und Sprachausgabe zurückgreifen kann. Aber dies ist noch längst nicht alles, existieren diese Medien doch noch nicht so lange. Das ist nur die Spitze des Eisbergs, da es eine Reihe von dringlicheren Gründen gibt, für die Brailleschrift zu plädieren, zumal sie auch erst seit 200 Jahren besteht. Reden wir mal darüber, warum sie eigentlich so wichtig ist und man darum kämpfen sollte, dass sie nicht restlos von digitalen Hörmedien verdrängt wird. (Ob diese Gefahr tatsächlich besteht, entzieht sich meiner Kenntnis, doch kann man nie oft genug für die Punktschrift eine Lanze brechen.)

Sie fühlt sich zunächst einmal gut an. Hat irgendjemand schon über ein beschriebenes Blatt gestrichen und festgestellt, wie angenehm es ist, diese kleinen Punkte auf der Haut zu spüren? Fast wie ein Peeling für die Hände! Zugegeben, das hört sich vielleicht etwas verstörend an und ist rein subjektiv, aber mir ist es wichtig, es zu erwähnen. Ich werde mit Zufriedenheit erfüllt – „Genugtuung“ ist eventuell ein zu starkes Wort dafür –, wenn ich einen Text geschrieben oder bekommen habe, mit den Händen darüberfahre, ohne gleich den Inhalt zu erfassen, aber zu wissen, ich kann ihn lesen.

Etwas entscheidender ist hingegen die Diskretion der Brailleschrift, wie ich das titulieren möchte: Man nimmt sie zwar durchaus als außenstehender Zuhörer wahr, wenn Finger über ein Blatt und vor allem über eine Braillezeile gleiten, aber man weiß nicht, was gelesen wird. Das wäre bei der Sprachausgabe anders, wenn sie nicht über Kopfhörer, sondern laut gehört wird. Selbst wenn die Geschwindigkeit bis zur Unkenntlichkeit (für die meisten Sehenden) hochgedreht und der Bildschirm des verwendeten Gerätes verdunkelt wurde, so gibt es da immer noch den Umstand, dass die Sprachausgabe auf Dauer nervt. Manche der „Betroffenen“, meine Person eingeschlossen, haben selbst gelegentlich die Nase voll davon, weshalb ich ganz froh bin, meine Braillezeile mit dem Smartphone verbinden und die Sprache für eine Weile stummschalten zu können. Klar, alles hat so seine Vor- und Nachteile. Man kann die Zeile nicht überallhin mitnehmen, die Finger brauchen auch irgendwann eine Pause vom Lesen – genauso wie die Augen –, aber dann könnte man wieder zum Hören zurückkehren. Wenn man sich etwas zu Gemüte führen, allerdings auf die Computerstimmen verzichten möchte, wenn man einfach ein kleines Stück Ruhe davon haben will, ist die Brailleschrift, so man sie beherrscht, das Mittel der Wahl schlechthin.

Blindenschrift ist es egal, ob es Tag oder Nacht ist; sie wird immer wahrnehmbar bleiben. Wer nachts nicht schlafen kann, wird dadurch trotz mangelnden Lichtes und sogar heimlich fähig, unter der Decke zu lesen. Mit einem dicken Wälzer erweist sich jene Unternehmung zwar als herausfordernd, jedoch nicht unmöglich. Andernfalls sei auch hier wieder die Braillezeile erwähnt, wenn eine zur Verfügung steht, mit der sich die Sache selbstredend wesentlich einfacher gestalten würde.

Was der hochgeschätzten Schrift auch gleich ist, ist die Aussprache von Wörtern. Sprachausgaben haben da alle ihre Macken. Ist man des taktilen Lesens mächtig, braucht einen das nicht zu kümmern, denn da lässt man sich nicht von falscher Aussprache bekannter Wörter verwirren. Gewiss ist einzuwenden: Wenn die Buchstaben ihre Aussprache nicht preisgeben, weiß man bei unbekannten Begriffen und Zeichen nicht, wie damit umzugehen sei. In diesem Falle muss man entweder andere Leute fragen oder sich das Wissen um das internationale phonetische Alphabet aneignen, welches in Braille wohl ebenfalls existieren soll. Jedoch kommt es im normalen Alltag nicht so oft dazu, wie man sich über Sprachausgabenfehler bei ganz gebräuchlichen Termini amüsiert oder aufregt.

Nun komme ich aber zum wichtigsten Punkt: Man lernt durch intensives Lesen, die Welt besser zu verstehen und sich selbst verständlicher zu machen. Man hat es uns in der Schule schon gepredigt: Wer sich gut ausdrückt – was richtiges Schreiben impliziert –, wird bestimmt meistens besser verstanden und auch eher ernst genommen als jemand, bei dem das eher nicht der Fall ist. Besonders im Arbeitsleben müssen wir dieses Problem thematisieren, oder überhaupt, wenn man mit anderen Menschen kommuniziert. Über Rechtschreibung, Grammatik und Ausdruck erfolgt die Bewertung, wie man rüberkommt und wie wichtig das Anliegen ist. Davon wollen gerade wir Blinden als eine Minderheit, eine Gruppe von Menschen mit Behinderung, nicht ausgeschlossen werden. Denn wollen nicht gerade wir genauso behandelt werden wie „normale“ (hier: sehende) Mitmenschen? Regen wir uns nicht oft genug darüber auf, dass wir keinen Job bekommen, weil Vorurteile unsere steten Begleiter sind? Aus diesem Grund ist eine gewisse Bildung vonnöten, damit wir beweisen können, dass wir etwas draufhaben. Einer der Grundsteine für Bildung ist eben das Lesen. Deswegen bin ich Louis Braille dankbar, dass er diese segensreiche Erfindung gemacht hat, und ich bin nicht allein.

Jetzt werden einige sagen: „Die hat gut reden. Sie ist geburtsblind. Was aber, wenn man später erst die Brailleschrift erlernen muss? Das schafft doch nicht jeder.“ Das mag sein, weil ich erfahren habe, dass es bei einigen von den Nerven in den Fingerkuppen her nicht funktioniert. Aber ihr, die ihr die Möglichkeit habt, nutzt sie aus! Sorgt dafür, dass unsere Schrift nicht ausstirbt und stattdessen weiter gefördert wird! Nicht jeder oder jede muss zum Bücherwurm werden, nicht alle Schriftarten (Basis-, Voll- oder Kurzschrift, 8-Punkt-Braille oder Notenschrift etc.) müssen gleichermaßen erlernt worden sein. Aber wenn alle, die es betrifft und die fähig sind, etwas beitrügen, zum Beispiel auch damit, dafür zu sorgen, dass mehr und mehr Bücher und Dokumente zugänglich gemacht würden, dann kämen wir gemeinsam weiter und viele hätten ihr Scherflein dazu beigetragen, eines unserer wichtigsten Medien, wenn nicht sogar das Wichtigste, zu erhalten.

(Einsendung zum Schreibwettbewerb von Josephine Frenzel)