Es steht außer Frage, dass Louis Braille die Brailleschrift erfunden hat – ein System, das das Leben vieler blinder und sehbehinderter Menschen nachhaltig geprägt hat. Doch jede große Veränderung, jede bahnbrechende Idee, hängt immer von einer Vielzahl an Faktoren, Mitmenschen und äußeren Umständen ab und schaft ein Vermächtnis, das von vielen Personen weiterentwickelt wird.
Der Ursprung dieser Entwicklung lässt sich bis in die 1780er Jahre zurückverfolgen, als Valentin Haüy, inspiriert von der blinden Konzertpianistin Maria Theresia von Paradis, die erste Erziehungs- und Unterrichtsanstalt für blinde Kinder gründete. Dieses Institut widmete sich zunächst vor allem der musikalischen Bildung und brachte bereits in den frühen Jahren eine Reihe bedeutender Organisten hervor.
Im Zuge seiner Tätigkeit begann Haüy, auf dem Gebiet der Taktilschrift zu forschen, um ein für blinde Menschen praktikables Schriftsystem zu entwickeln.
Es ist durchaus denkbar, dass Hayü hierzu unteranderem durch bereits existierende Ansätze wie beispielsweise der Stachelschrift, bei der es sich um fühlbar gemachte Lateinbuchstaben handelte, inspiriert wurde, da sich die Stachelschrift sowohl bei der Erstellung, als auch bei der Lesbarkeit in wesendlichen Aspekten als problematisch erwies.
Seine Bemühungen führten über die Jahre zu einem regen Austausch mit Erfindern und Visionären, die ihre Konzepte gemeinsam mit Lehrern und Schülern erprobten.
Hier kommt Charles Barbier ins Spiel, ein Offizier, der ab 1808 an einem Schriftsystem arbeitete, das ohne Lichtquelle lesbar sein sollte. Dieses sogenannte "Nachtschrift"-System präsentierte er vermutlich in den frühen 1820er Jahren dem Institut. Dort traf er auf den bereits in früher Kindheit erblindeten Jungen Louis Braille, der seit 1819 Schüler der Anstalt war. Inspiriert von Barbiers System entwickelte Braille bis 1825 seine eigene, deutlich vereinfachte Version, die mit nur sechs statt zwölf Punkten auskam und darüber hinaus das der Nachtschrift zugrundeliegende Silbensystem durch Buchstaben ersetzte
1829 veröffentlichte Braille erstmals ein vollständiges Schriftsystem. Es dauerte jedoch mehr als sieben Jahre, bis Werkzeuge entwickelt wurden, die blinden Schülern eine tatsächlich anwendbare Schreibschrift ermöglichten. Diese frühen Methoden waren jedoch weit entfernt von dem, was wir heute als selbstverständlich erachten. Das Schreiben mit Tafel und Griffel erforderte, dass die Schrift spiegelverkehrt dargestellt wurde. Zudem musste jeder Punkt einzeln ins Papier geprägt werden, was die Anwendung erschwerte.
Für das Konzept der Schreibtafeln griff Braille ebenfalls auf die Arbeit von Barbier zurück.
An der Entwicklung der ersten großen Druckmaschine für Brailleschrift war Louis Braille selbst noch maßgeblich beteiligt. Ein Gerät, das es einer einzelnen Person erlaubte, Texte zu verfassen, ließ jedoch noch auf sich warten. Die erste echte Braille-Schreibmaschine wurde schließlich 1892 von Frank Hall entwickelt und im Laufe der Zeit stetig verbessert.
Frank Hall war nicht nur ein talentierter Erfinder, sondern auch ein Vorreiter der Inklusion blinder Menschen. So setzte er sich aktiv für gleiche Bildungschancen ein und entwickelte Programme, um blinde Schüler in regulären Schulen zu unterrichten.
1899 erschien unabhängig eine ähnliche Maschine in Deutschland, die viele Jahre lang eingesetzt wurde.
Der Schritt ins digitale Zeitalter begann in den 1960er Jahren mit den ersten Vorläufern moderner Braillezeilen, die im Vergleich zu den heutigen Geräten sehr viel Platz einnahmen und Texte von Tonbandkassetten wiedergeben konnten.
In den 1980er Jahren folgten die ersten Braille-Drucker, und in den 1990er Jahren erreichte die Technik mit modernen Braillezeilen, die erstmals den kompletten Bildschirminhalt von Computern wiedergeben konnten, einen weiteren Meilenstein.
Ebenfalls in diesem Zeitraum erschien der erste Braille-organicer.
Seit den frühen Zweitausenderjahren folgten digitale Braille-Notizgeräte und Braillezeilen mit erweiterten Funktionen, die es ermöglichen, Texte unterwegs zu verfassen, zu speichern und digital weiterzuverarbeiten. Sie sind kompakt und bieten die Möglichkeit, Dateien direkt mit Computern oder mobilen Geräten zu synchronisieren. So wurden sie schnell zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Alltag und Berufsleben. Diese Innovation machte die Kommunikation für blinde Menschen nicht nur effizienter, sondern ebnete auch den Weg für eine noch stärkere Integration in die zunehmend digitale Welt. Inzwischen kann Braille digital sogar mit den meisten handelsüblichen Smartphones geschrieben werden, was eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass Braille nicht nur eine taktile Schriftform ist, sondern zusätzlich ein durchaus immer noch modernes und zukunftsfähiges Schreibsystem darstellt.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Entwicklung der Brailleschrift das Ergebnis eines langen Prozesses war, geprägt von den Beiträgen vieler Menschen, die durch ihre Ideen, Erfindungen und ihr Engagement den Weg bereitet haben. Valentin Haüy, Charles Barbier, Frank Hall und viele weitere haben entscheidend dazu beigetragen, die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen Brailles System entstehen und sich verbreiten konnte. Dennoch bleibt Louis Braille der entscheidende Funke, der diese Entwicklungen zu einem revolutionären Ganzen verband. Seine Kreativität, sein Enthusiasmus und seine Hartnäckigkeit machten die Brailleschrift zu dem, was sie heute ist: einem unersetzlichen Werkzeug der Selbstbestimmung und Teilhabe für blinde und sehbehinderte Menschen auf der ganzen Welt.
Louis Braille und sein Vermächtnis: Wie eine Idee die Welt für Blinde veränderte
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