Hallo zusammen,
nun möchte auch ich euch einen kleinen Überblick zu meinem Berufsprofil geben. Ich bin von Geburt an vollblind und arbeite seit März 2019 als fest angestellte Übersetzerin mit den Fremdsprachen Englisch und Spanisch im Übersetzungsdienst des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Bonn. Wie ich dort gelandet bin und welche Vorteile – und auch Hürden – der Übersetzerberuf so mit sich bringen kann, fasse ich euch in diesem Beitrag kurz zusammen. Zunächst aber zu meinem konkreten Arbeitsalltag.
Grundsätzlich besteht die Aufgabe eines Übersetzers im Gegensatz zum Dolmetschen darin, schriftliche Texte von einer Sprache in eine Andere zu übertragen, in meinem Fall aus dem Englischen und Spanischen ins Deutsche und aus dem Deutschen ins Englische. Das ist auch meine Hauptaufgabe im Gesundheitsministerium, wo einem zwar erstaunlich wenige tatsächliche medizinische Fachtexte, dafür aber alles von Ministerschreiben und Reden über Gesetzestexte und Strategiepapieren bis hin zu den aktuellen Corona-Aushängen am Flughafen begebnet.
ZU meiner Arbeit im BMG-Übersetzungsdienst gehören allerdings noch weitere Aufgaben. So sind die Übersetzer auch dafür zuständig, die von ihnen verwendeten Übersetzungen von bestimmten Fachbegriffen nachvollziehbar dokumentiert in einer Datenbank zu hinterlegen (Terminologiearbeit), damit es beispielsweise für Gesetzestitel, aktuelle Schlagworte (wie Alltagsmaske) u. Ä. eindeutige Übersetzungen gibt, die auch zwischen verschiedenen Behörden ausgetauscht werden können. Außerdem sind meine Kollegen und ich dafür verantwortlich, Aufträge, die wir entweder sprachlich nicht abdecken können oder die wir aus Kapazitätsgründen nicht fristgerecht erfüllen könnten, an freiberufliche Übersetzer weiterzugeben, d. h., Angebote einzuholen, Aufträge zu erteilen, Rechnungen zu bearbeiten und das Ganze angemessen zu dokumentieren. Insgesamt also ein relativ vielfältiger Beruf mit Allgemeinbildungspotenzial.
Auch wenn „übersetzer“ tatsächlich keine geschützte Berufsbezeichnung ist, sich also theoretisch jeder, der sich dazu in der Lage sieht, als Übersetzer bezeichnen kann, wird zumindest für eine Festanstellung meist ein abgeschlossenes Master- oder zumindest Bachelorstudium im Übersetzungsbereich vorausgesetzt. Ein solches Studium absolvierte ich am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) in Germersheim, einer ausgelagerten Fakultät der Uni Mainz, die als reiner Dolmetscher- und Übersetzer-Hotspot zwar relativ klein und familiär ist, aber gleichzeitig eine große Auswahl an Fremdsprachen und Spezialisierungen bietet. Außerdem hatte ich erfahren, dass die Uni bereits mit blinden und sehbehinderten Studierenden zu tun gehabt hatte. Perfekte Voraussetzungen also für einen ziemlich dankbaren, weil textbasierten Studiengang.
Abgesehen von den üblichen Herausforderungen, die man als Blinder oder Sehbehinderter wohl in jedem Studiengang antrifft (spontan ausgeteilte Materialien, Recherche für Hausarbeiten etc.), begegnete mir meine erste kleinere Hürde im Studium im dritten Semester, als die Wahl des Spezialisierungsfaches anstand und ich mich zwischen Recht, Wirtschaft, Technik, Informatik und Medizin entscheiden musste. Meine Wahl fiel schließlich auf das Sachfach Medizin, von dem mir meine Kommilitonen geschlossen abrieten, weil sie selbst bei dem Wust unübersichtlicher Abbildungen, die der Prof. in seinen Abendvorlesungen an die Wand warf, den Überblick verloren und nur schwer mitkamen. Hier zeigte sich jedoch einmal mehr, dass man als Blinder durchaus auch unterschätzt werden kann, und dass vor allem im Hinblick auf die genutzten Informationskanäle in Vorlesungen weniger manchmal mehr ist. Der Medizin-Prof stellte sich nämlich als ziemlich kompetenter Redner heraus, der die wichtigen Infos seiner Grafiken auch immer verbalisierte, sodass ich mich, während alle anderen gegen die massive Reizüberflutung ankämpften, ohne Bedenken auf die Vortragsinhalte konzentrieren konnte und meiner Wunschspezialisierung nichts mehr im Wege stand. Also: Die Einschätzung Anderer ist immer eine prima Grundlage, aber wenn euch etwas interessiert, im Zweifel einfach erst mal selbst testen!
Die größeren Herausforderungen warteten dann auch tatsächlich erst am Ende meines Studiums, als es um den Einstieg in den Beruf ging. Zwar wusste ich schon fast seit meinem Studienbeginn ziemlich genau was ich wollte, nämlich eine Festanstellung als Medizinübersetzerin in einem spezialisierten Übersetzungsbüro, aber leider werden immer weniger Übersetzer fest angestellt und die große Mehrheit von uns arbeitet heutzutage freiberuflich und oft zu Dumpingpreisen mit mehreren Agenturen zusammen. Außerdem werden überall in der Übersetzungsbranche Datenbankprogramme (sog. CAT-Tools) genutzt, mit denen fertige Übersetzungen Satzweise abgespeichert und bei Bedarf wiederverwendet werden können, und die meisten dieser Programme sind nicht oder nur mit hohem Programmieraufwandt für Blinde nutzbar. Wer sollte also eine blinde Berufsanfängerin einstellen, die im Zweifel nicht einmal mit der im Unternehmen genutzten Software umgehen kann?
Die Arbeit als Freiberuflerin hatte ich allerdings schon vorher für mich ausgeschlossen, weil sie ihre ganz eigenen Hürden mit sich bringt. Wie sollte ich z. B. halbwegs zeiteffizient überprüfen, ob das Format einer Übersetzung in allen Punkten mit dem Ausgangstext übereinstimmt, vor allem, wenn es um PDF-Dateien oder gescannte Dokumente ginge? Sollte ich mir dazu eine Arbeitsassistenz einstellen, und wie würde ich die dann beschäftigen, wenn es bei mir mal eine Auftragsflaute gäbe? Und dann noch der ganze Papierkram (Buchführung, Steuererklärungen etc.), und die Aussicht darauf, nie genau zu wissen, was man am Monatsende eigentlich auf dem Konto haben würde. Alles in Allem aber vermutlich keine unlösbaren Probleme, weshalb ich das erste Jahr nach meinem Masterabschluss damit verbrachte, mich sehr halbherzig als Freiberuflerin zu versuchen, mich bei Agenturen und Übersetzungssbüros zu melden, die mir zwar zusagten, mich in ihre Kartei aufzunehmen, von denen ich aber nie Aufträge erhielt, und gleichzeitig weiterhin in allen möglichen Jobbörsen nach einer Festanstellung zu suchen.
Schließlich bewarb ich mich auch beim Gesundheitsministerium. Dort wurde zwar eigentlich ein Übersetzer mit Englisch als Muttersprache gesucht, aber da das nicht explizit so in der Stellenbeschreibung stand, beschloss ich, es trotzdem einfach zu versuchen. Dass dieser Versuch nicht nur erfolgreich war sondern tatsächlich mit einem schließlich unbefristeten Arbeitsvertrag belohnt wurde, verdanke ich vermutlich zum Teil der Tatsache, dass ich mich im öffentlichen Dienst und nicht in der Privatwirtschaft beworben habe. Ich glaube allerdings, dass auch die offene Kommunikation mit den Kollegen (also proaktiv nach möglicherweise problematischen Faktoren wie Software etc. fragen, Probleme ansprechen und Lösungsansätze anbieten) ihren Teil dazu beigetragen hat, dass ich heute zwar nich in meinem ursprünglichen Traumjob, aber in einem tollen Team in einem Beruf arbeite, der diesem Traumjob ziemlich nahe kommt.
Sollte ich jetzt jemanden auf den Übersetzerberuf neugierig gemacht haben, schreibt mich bei weiteren Fragen gerne an oder stöbert in den folgenden Links:
- Beschreibung des Berufsbilds „Übersetzer“ auf der Webseite des Bunds Deutscher Übersetzer (BDÜ):
https://bdue.de/der-beruf/uebersetzer
- Webseite des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Uni Mainz:
www.fb06.uni-mainz.de
- Englischsprachige internationale Mailingliste für blinde und sehbehinderte Dolmetscher und Übersetzer:
http://lists.screenreview.org/listinfo. ... review.org