Was nun folgt, ist schwer zu glauben. Es begab sich aber zu der Zeit, als Quirinius Stadthalter von Syrien war - und das soll etwas heißen.
In Nazareth wohnte eine junge Frau namens Maria. Eines Tages schwebte plötzlich ein Engel vor ihr. Maria erschrak, aber der Engel sagte ihr, dass sie sich nicht fürchten müsse. Er sei von Gott geschickt worden, um ihr mitzuteilen, dass sie bald ein Kind von ihm, Gott, bekommen würde. Dieses würde Jesus heißen und alle Menschen würden es den "Sohn Gottes" nennen.
Maria erschrak trotz der Beschwichtigung des Engels. „Ein Kind, unter diesen Umständen?“
„Sie wissen schon“, sagte sie zum Engel, „dass mein Verlobter blind ist? Wie soll ich denn das schaffen? Dann habe ich ja zwei Kinder am Hals.“
Der Engel lächelte verschmitzt. „Der Himmel sieht das ganz pragmatisch. Du musst ihm jedenfalls nicht erklären, warum das Kind ihm nicht ähnlich sieht.“
„Er wird sich denken können, wer der Vater ist“, antwortete Maria resigniert. „Wer sonst soll mir denn ohne Flecken zu hinterlassen ein Kind gemacht haben?“
Als Maria es Josef erzählte, fuhr er sie an, „Das ist ja wohl die dreisteste Ausrede für eine ungewollte Schwangerschaft in der Geschichte der Menschheit!“
Dann aber war er sehr geknickt. „Ich bin kein richtiger Mann für sie“, dachte er, „aber wer weiß, ob ich als Blinder überhaupt nochmal eine Frau abkriege, also heirate ich sie und nehme das Kind als mein eigenes an.“
Wenig später befahl der Kaiser eine Volkszählung. Da der Datenschutz noch nicht erfunden war, begab sich die schwangere Maria mit ihrem Josef nach Betlehem, um sich zählen zu lassen.
Der Weg war sehr beschwerlich, weil es noch keine Navigations-Apps gab und Josef als Mann sich weigerte, Andere nach dem Weg zu fragen.
Maria bot ihm immer wieder an, ihn zu führen, aber auch das kränkte seinen Stolz und so verirrten sie sich oft im Dornwald.
Statt sich führen zu lassen, tastete Josef mit einem langen Weidenast den Weg vor sich ab, wobei er murmelte, „Und ob ich wandere im Finstern Tal, dein Stecken und Stab trösten mich.“
„Schön wär’s“, dachte Maria.
In Bethlehem steppte der Bär, weil es noch keinen Pabst gab, der dort hätte boxen können. Alle Gasthäuser waren voll von Leuten, die ihre Daten erfassen lassen wollten.
Maria führte Josef zu einer Herberge. Auf sein Klopfen wurde die Tür geöffnet und eine barsche Frauenstimme fragte, „Was gibt’s?“
Josef fragte in Richtung der Stimme, „Hättet ihr wohl einen Schlafplatz für mich und mein schwangeres Weib?“
Die Frau sah Maria mitleidig an. „Hier ist alles voll Kindchen. Vielleicht kommst du mit ihm im Haus der Krüppel unter.“
Im Haus der Krüppel bekamen die Zwei wenigstens einen Tee von den Betschwestern, die die Insassen betreuten.
„Nimmt er Zucker“, fragte eine Betschwester Maria. „Wer ist denn noch da?“, erkundigte sich Josef daraufhin.
„Nein“, sagte Maria, „er hat die Zuckerkrankheit.“
Die Betschwester bemerkte, „Gott sei Dank ist gerade keine Jahreszeit, in der viel Süßes gebacken wird.“
Auf ihrer Suche nach einer Unterkunft kamen Maria und Josef zu einem großen Haus mit einladend leuchtenden Laternen in den Fenstern. Maria las das Schild über der Tür vor, „Belle Hur.“
In der Hoffnung auf einen Schlafplatz kehrten die Beiden ein.
Josef war sofort von gurrenden und säuselnden Frauen umgeben, die an ihm herumnestelten und irgendetwas von Fleischeslust faselten. Da Maria und Josef sich auf dem Weg nach Betlehem nur von Beeren und Wurzeln ernährt hatten, ließ er sich von ihnen davonführen.
Eine der Frauen nahm Maria bei Seite und fragte mit Blick auf deren Bauch, „Ist das etwa gewollt?“
Maria schluckte. Sie konnte die Frage nicht gerade mit ja beantworten.
„Es ist nun mal passiert“, wich sie aus.
„Sollen wir es dir wegmachen“, legte die Frau nach. „Wir verstehen was davon.“
Maria zuckte zurück. „Nein! Es ist doch der Sohn Gottes.“
Die Frau lachte lauthals. „Ich wusste noch gar nicht, dass Gott blind ist, aber das erklärt natürlich so einiges.“
Josef war schon kurz davor, von den Fleischtöpfen zu kosten, als Maria ihn packte und rief: „Josef, ich will hier weg! Wenn du nicht mitkommst, lasse ich dich hier und du kannst allein klarkommen!“
„Die hat’s richtig gemacht“, sagte eine der Frauen zu ihrer Genossin. „Das Kind hat einen Vater, der ihr nicht abhauen kann.“
Erschöpft klopfte Josef an die Tür der letzten Herberge im Ort. Als sie aufging, rief eine Männerstimme: „Geh woanders betteln!“
Josef wurde zornig. „Ich bin kein Bettler“, sagte er bestimmt. „ich suche einen Schlafplatz für mich und mein schwangeres Weib.“
Der Mann sah Maria mitleidig an. „Ach deshalb kümmerst du dich um ihn, er ist der Vater.“
Maria wollte schon verneinen, aber ihr wurde schnell klar, dass die Wahrheit sie in noch größere Erklärungsnot bringen würde.
„Ich komme bald nieder“, versuchte sie die Situation auf den Punkt zu bringen.
„Du bist doch schon längst runtergekommen.“, verfeinerte der Herbergsvater den Punkt. „Lässt dich von einem Blinden schwängern! Geht von mir aus in den Stall, zu den Ochsen.“
Im Stall fand Maria ein wenig Heu, auf das sie sich legen konnte. Josef erkundete den Raum, in dem er sich an den Wänden entlangtastete. Bald stieß er an eine Futterkrippe.
„Das wäre ein gutes Bettchen für unser Kind“, meinte er und begann sie zu kippen.
„Ich muss sie leeren.“, sagte er angesträngt. „Sonst sticht ihn der Hafer.“
Maria ächzte vom Boden, „Das Kind ist doch noch gar nicht da. Hilf mir lieber.“
In dem Moment fiel die Krippe um. Der Hafer ergoss sich über den Stallboden und erreichte schnell die entnervte Maria.
„Jetzt lernst du fegen!“, brüllte sie und dirigierte ihn vom Boden her zu einem fledderigen Reisigbesen.
Einige Stunden Später erschien im Hause Belle Hur der bereits einmal in Erscheinung getretene Engel.
„Euch ist der Messias geboren!“, verkündete er inbrünstig.
Die Frauen sahen sich betroffen an. „Um Gottes Willen!“, rief eine von ihnen aus.
„Eben“, bekräftigte der Engel. „Lasst eure Herden zurück und eilt zum Kinde in der Krippe!“
„Ick globe sie sind anner falschen Adresse“, sagte eine der Frauen.
Der Engel konsultierte seinen Entsendebescheid und rief konsterniert aus:
„Ach, Hirten! Ich soll zu den Hirten!“
Die Frauen waren neugierig geworden und so machten sie sich auf den Weg, nachdem der Engel ziemlich kleinlaut verschwunden war.
Maria staunte nicht schlecht, als lauter Huren in den Stall strömten und Schmusi-Butzi-Laute über ihrem neugeborenen Kind machten. Man hätte denken können, die Frauen huldigten dem kleinen Wurm.
Diese wurden gleich darauf belohnt, denn die Hirten erschienen ihnen auf den Fersen und so gab es reichlich Kundschaft.
Zu allem Überfluss hatte jemand alle Kinderlein in der Umgebung hergerufen, die nun auch noch in den nächtlichen Stall drängten, um das himmlische Kind zu bewundern.
Als sie jedoch entdeckten, dass Josef blind war, fanden sie es viel unterhaltsamer ihm ihre Hände vors Gesicht zu halten und zu fragen, „Wie viele Finger sind das?“, oder ihn mit Hafer zu bewerfen, wobei sie fröhlich sangen, „Seht, was in dieser Nacht, der Vater für Freude uns macht!“
Als der liebliche Knabe wegen des Lärms zu plärren begann, scheuchte Maria die Kinderlein vor die Tür und rief ihnen nach, „Kommet bloß nicht nochmal, zu Betlehems Stall!“
Indessen hatten sich drei Astrologen auf den Weg nach Bethlehem gemacht, weil der Himmel über der Stadt zu leuchten begonnen hatte.
Leider kamen sie dort an, gut 2000 Jahre bevor ihnen jemand hätte sagen können, was eine Supernova ist.
Da sie aber nun einmal Astrologen waren, logen sie astral und deuteten das Kind im Stall als Ursache der himmlischen Illumination. Niemandem fiel auf, dass sie damit Ursache und Wirkung nach der Astrologischen Schule vertauschten.
Sie bahnten sich einen Weg durch die Ochsen, Huren und Hirten und legten einige Mitbringsel vor dem Kind nieder, um es zu ehren.
Josef begeisterte sich so gleich für die duftenden Substanzen. Maria aber bemächtigte sich des Goldes und stellte fest, „Jetzt können wir wenigstens frische Windeln kaufen.“
Josef bedankte sich bei den geheimnisvollen Fremden und fragte, ob sie vielleicht der Augenheilkunde fähig wären.
„Deine Augen kann niemand heilen.“, antwortete einer der Drei. „Aber ich verrate dir ein Mantra, das dir die Kraft gibt, dein Leben zu meistern. Es lautet Om.“
Josef spürte tatsächlich ein wachsendes Selbstvertrauen, als er immer wieder die Buchstaben O und M vor sich her sang.
Als die Deuter, die Huren und die Hirten den Stall verlassen hatten und Ruhe einkehrte, nahm Josef das Bündel aus der Krippe, roch am unteren Ende und sagte, „Maria, der Kleine muss mal gewickelt werden.“
Maria sagte entschlossen, „ich zeige dir, wie das geht. Dann bekommst du mal ein Bisschen lebensfähige Praxis und kannst das demnächst selbst.“
Nachdem Josef die bereits zweite lebensfähige Praxiseinheit in dieser Nacht absolviert hatte und das Kind mäßig gewickelt in der Krippe lag, krähte draußen der erste Hahn.
„Es dämmert schon“, stellte Josef daraufhin fest.
Maria sank auf das Heu nieder. Sie schloss die Augen und seufzte, „Und ich dachte, es wird eine stille Nacht.“
Maria und der blinde Josef: Eine Weihnachtsgeschichte
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