Eindrücke von Angehörigen

Eine Behinderung kann kompliziert sein, gerade, wenn sie neu aufgetreten ist. Andere Menschen können kompliziert sein im Umgang mit Behinderung. Hier könnt ihr Erfahrungen austauschen.
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Eindrücke von Angehörigen

Beitrag von Sophie Heinicke » 11.07.2023, 13:38

Schwesterherz
Meistens spricht man über die Sicht der Betroffenen. Meine 14-jährige kleine Schwester gibt uns in dieser Brücke-Ausgabe einen Einblick, wie es für sie als Angehörige ist und war, mit einer blinden Schwester aufzuwachsen.

Wie war es für dich mit einer blinden Schwester aufzuwachsen?
Sie lachte. „Ich konnte mich immer vor dir verstecken, wenn ich irgendwo nicht hinwollte. Wenn ich vom Spielplatz nicht Heim oder Zuhause duschen wollte, war ich einfach leise.“ Sie lachte wieder, nur etwas frecher.
„Dann hast du nur immer Luna (unsere alte Labradorhündin) geholt und ihr habt mich gefunden. Oder ich habe zu laut geatmet. Das war ziemlich gemein und nervig, weil ich mir dann sogar Mühe geben musste leise zu atmen.“ – erzählte sie grinsend. „Aber sonst war alles normal. Du warst eine ganz normale, gemeine Schwester. Du hast mich einfach fake-versteckt, also so, dass alle wussten wo ich war – und das mit voller Absicht! Du hast mich gezwungen zu duschen, obwohl ich gerade am Spielen war.“

Gab es Momente die schwer für dich waren oder sind?
„Nein, eigentlich nicht.“, sagte sie zögerlich. „Du hattest deinen Stock erst ziemlich spät. Das weiß ich noch.“

Meinst du etwas wäre anders, wenn ich nicht blind wäre?
„Du hättest mich schneller gefunden.“, sagte sie fast erleichtert. „Du würdest auch wissen, wann ich nur so tue als ob ich schlafe.“ Das weiß ich, sagte ich ihr, woraufhin sie empört erwiderte: „Aber nicht immer.“
„Dein Laptop wäre auch nicht immer dunkel. Und man müsste auch nicht ständig die Bildschirmlupe schließen, wenn man selbst etwas machen will.“

Musst du die Blindheit manchmal erklären? Wie ist das für dich?
„Wenn ich anderen erzähle, dass du eine Augenerkrankung hast und kaum noch etwas siehst, dann ist es doch klar. Da kommen auch eigentlich nie Nachfragen. Außer vielleicht von meiner einen Freundin, aber die ist auch besonders. Da winke ich eher ab.“
An vergangene Fragen kann sie sich kaum erinnern. Einmal fragte sie ein Junge aus ihrer Klasse, warum ich denn keine komplett weißen Augen hätte. So würde das in Zeichentricksendungen doch aussehen. Ihre Reaktion: „Wirklich? Das ist doch nur ein Klischee. Ja, aber das wäre wirklich witzig, also es würde cool aussehen.“

Gibt es etwas was du anderen Angehörigen raten würdest?
„Sei ihr Blindenhund!“, erwidert sie feixend. „Nein, man sollte für die betroffene Person emotional da sein. Man sollte versuchen sie nicht auszugrenzen. Wenn man etwas zeigen will, könnte man sich merken es gleich vorzulesen oder zu erklären was da ist. Und man könnte auf Treppen hinweisen.“
„Ach und was übrigens super ist, ist dass ich Blindenwitze machen darf, also vor allem wenn es um dich geht. Du bist meine Schwester. Du musst mich trotzdem liebhaben.“

(Artikel von Sophie Heinicke aus der Juli-Brücke 2023)

Meine Tochter wird blind

Beitrag von Sophie Heinicke » 04.08.2023, 14:58

Einblicke Angehöriger – Part 2
Auch diesen Monat möchte ich wieder einige Einblicke in die Sichtweisen Angehöriger geben. Dazu haben wir im letzten Monat Gedanken meiner Schwester erhalten und nun ist meine Mutter dran. Es wird etwas emotionaler, aber vielleicht hilft es ja doch der oder dem Einen oder Anderen.

Wann hast du erfahren, dass mit mir etwas nicht stimmt?
Erfahren habe ich es als du zwei Jahre alt warst. Du warst nachtbind, hast also immer viel im Dunkeln geweint, warst immer sehr körperbezogen, hast oft danebengegriffen und so auch Dinge umgeschubst. Daher sind wir zum Augenarzt gegangen. Der Augenarzt hat aber nicht gleich festgestellt was du hattest. Er hat einen Schreck bekommen und hat uns im Anschluss für weitere Untersuchungen ans Krankenhaus verwiesen.

Wie war deine Reaktion auf die Diagnose?
Ich hatte Angst, war traurig. Ich war wütend, dass dir schon wieder etwas passiert ist. Du warst nach deiner Geburt ja schon auf der Intensivstation. Ich dachte, vielleicht habe ich auch etwas verpasst. Die Angst war aber wohl die größte Emotion.
Ich habe ziemlich lange Angst gehabt, weil ich nicht wusste, wie sich die Krankheit verändert und wie sehr du davon eingeschränkt bist. Jedes Mal, wenn ich gesehen habe, dass bei dir etwas nicht so funktioniert hat wie du es dir gerne gewünscht hast oder du Schwierigkeiten in der Schule hattest, gehänselt wurdest, immer dann war es für mich besonders schlimm.

Ich habe immer versucht es dir nicht zu zeigen, vor dir immer besonders stark zu sein, aber das war schon sehr schwierig für mich. Ich war auch immer ärgerlich oder vielleicht sogar bösartig anderen gegenüber, wenn sie nicht verstanden haben mit dir umzugehen.
Du warst ja meine kleine Zuckerschnecke und wenn du traurig warst, das ist auch heute noch so, dann brauchst du immer eine Art der Zuwendung und des Verständnisses, aber auch einer Motivation. Man darf dich also nicht in Watte packen. Man muss dir eine Perspektive aufzeigen und trotzdem liebevoll mit dir sein. Wenn dann jemand nur kam mit „Ach die Arme!“ und „Das kannst du nicht“, dann war ich den Emotionen anderer vielleicht auch manchmal etwas ungerecht. Sie haben es auch nicht immer so verstanden, was ich für richtig für dich hielt.

Gab es für dich einen besonders schweren Punkt?
Es gab einen Tag, da waren wir in der Charité in Berlin. Ich hatte immer die Hoffnung, dass mir jemand sagt, dass es vielleicht nicht besser wird, aber es einen Punkt gibt, der dann so bleibt. In Berlin kam dann aber der Arzt und sagte uns ganz eindeutig, dass es eine fortschreitende Erkrankung ist. Dein Papa war erschrocken und wir wussten beide nicht wohin mit uns. Da fing ich ganz doll an zu weinen. Da ging es mir ganz doll schlecht.

Würdest du rückblickend etwas anders machen?
Ich war mir nie ganz sicher, dass ich so wie ich mit dir umgegangen bin, alles richtig gemacht habe, also ob ich da richtig lag. Am unsichersten war ich damals mit der Situation, ob ich dich auf eine andere Schule hätte schicken sollen – also eine Schule für Sehbehinderte. Die Entscheidung fiel mir sehr schwer, da viele mir geraten haben den Weg mit dir zu gehen, aber wie ich schon gesagt habe, du deine Bezugsperson brauchtest. Du brauchtest auch immer Menschen, die wussten, wie sie mit dir umgehen und dich motivieren sollten. Ich wusste, dass es dir schwerfiel, das von anderen anzunehmen. Ich konnte damals keine andere Entscheidung treffen und habe dann auch meinen Willen durchgesetzt.

Ich weiß nicht, ob ich das damals richtig gemacht habe. Vielleicht hättest du es auch einfacher gehabt und hättest wahrscheinlich auch andere Freundschaften und Beziehungen knüpfen können. Im Nachgang, wenn ich daran denke, wie schwer du es in der Schule mit Gleichaltrigen und Freunden hattest, das bringt mich bis heute noch zum Zweifeln. Ich hätte dir einfach mehr Kontakte gewünscht, was dir schon immer sehr schwergefallen ist. Aber heute ist deine Schwester da und auch ihr fällt es schwerer, also liegt es wohl nicht nur an der Augenerkrankung, sondern eventuell an unserer Emotionalität.

Woran hast du nie gezweifelt?
Nie gezweifelt habe ich daran, dass wir das schaffen werden. Ich habe dich glaube ich zu einem ganz starken Menschen erzogen. Jetzt sage ich „ICH“, ich meine natürlich wir alle. Und ich war mir immer sicher, dass du alles hinbekommst. Ich habe immer gesagt: Solange mein Kind das Alles so hinbekommt, wie kann ich denn dann in ein Loch fallen. Das geht gar nicht.

Ich war immer sehr stolz darauf, wie du deine Schritte gegangen bist und wie du das gemacht hast. Natürlich gab es Rückschritte und auch emotionale Phasen, aber die hat jeder Mensch. Ich denke auch mit den Einschnitten und ständigen Veränderungen, wie es sie ja immer wieder bei uns gab, ist es okay, dass es manchmal etwas holpriger war.

Was würdest du Eltern raten, die gerade die Diagnose einer Sehbehinderung ihrer Kinder bekommen haben?
Ich würde ihnen raten an ihr Kind zu glauben und den Weg Stück für Stück mit ihnen zu gehen. Man sollte das Kind nicht in Watte packen, man sollte lieber zusammen gemeinsame Perspektiven entwickeln. Da sollte man dann auch dranbleiben.
Was mir wichtig ist, und das habe ich mit dir auch hunderttausend Mal geübt, ist nicht nur zu thematisieren wie andere auf dich als seheingeschränkte Person zugehen, sondern wie man auch selbst auf Menschen wirkt. Damit kann man Kindern das Leben leichter machen. Sie sollten lernen, dass sie auch mit der Krankheit genauso agieren können wie andere, egal ob es um das Anziehen, die Körperhaltung oder das Zugehen auf andere Leute ist. Das mit Kindern zu üben ist für jedes Kind wichtig, das ist vor allem mit jedem zurückhaltenden Kind wichtig und ich denke, Kinder die eine Behinderung haben, sind nicht selten zurückhaltend und daher muss man am Selbstbewusstsein und auch dem Umgang mit anderen arbeiten, es also üben.

Was wünschst du dir, wo es mehr Unterstützung hätte geben können?
Es gibt schon Aufklärung, aber ich hätte mir vielleicht gewünscht, dass auch die Lehrer sich informiert hätten und die Infos nicht nur durch uns an die Schulen herangetragen hätten werden müssen. Das gilt eigentlich für das ganze Umfeld.
Vielleicht lagen einige Probleme auch an uns. In manchen Phasen, gerade wenn der Alltag mit Arbeit und Co. einen wieder einholt, hat man nicht immer noch die Kraft mit neuen Informationen hinterher zu sein, also ständig neue Informationen einzuholen. Das fällt mir heute noch schwer. Ich will mich schon seit Ewigkeiten auf den neusten Stand bringen. Man braucht aber auch die Pausen, Phasen wo man ins ganz alltägliche Leben übergeht.
Ich weiß gar nicht ob ich mir mehr gewünscht hätte. Ich denke, ich habe für dich und für mich die Informationen zum richtigen Zeitpunkt bekommen. Hätte ich Alles schon vorher gewusst, wäre ich damit wohl überfordert gewesen.

Willst du noch etwas loswerden?
Ich finde ich habe eine tolle Tochter, wo ich heute sagen könnte: wenn ich heute nicht mehr da sein würde, könnte sie ihr Leben bestreiten. Die Sachen die mir vielleicht noch fehlen, haben nichts mit ihrer Sehbehinderung zu tun. Ich denke sie hat sich ein gutes Umfeld aufbauen können und sie lässt nicht nach. Manchmal muss sie sich selbst immer wieder in die Spur schicken, aber ich finde wir haben das alle gemeinschaftlich gut hinbekommen.

Artikel von Sophie Heinicke aus der August-Brücke 2023

Vom Blinddate zur Beziehung

Beitrag von Sophie Heinicke » 07.09.2023, 13:37

Diesen Monat musste tatsächlich mein Partner dran glauben. Er war wie meine Schwester teilweise ziemlich ratlos. Es ist nun einmal alles ziemlich normal bei uns. Das ist doch aber auch eine schöne Message.

Was hast du gedacht als du gesehen hast, dass ich blind bin?
Nur für euch: Ich habe in meinem Instagram-Profil stehen, das ich blind bin. Da ich in unserem Fall nicht unbedingt wusste, wie ich meine Blindheit einflechten sollte, habe ich ihm einfach mein Profil geschickt und abgewartet.

Aber nun zu seiner Antwort:
Ähm, ich habe mich gefragt, ob du eine Brille trägst, denn ich habe dir ja ein Foto von mir geschickt und du hast mir darauf ja auch ein Feedback gegeben. Meine erste Frage war also, wie du dann eigentlich mein Bild sehen konntest. Als du dann sagtest, dass du noch einen Sehrest hast, habe ich erst einmal gar nicht weiter darüber nachgedacht. Ich habe es einfach hingenommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch noch überhaupt keine Intention. Du warst mir einfach nur sympathisch.

Ab wann hast du dir die ersten Gedanken gemacht?
Eigentlich gar nicht. Als ich das erste Mal hier war, habe ich dann darüber nachgedacht. Ich habe dich viel beobachtet, aber auch da fand ich es eher interessant und amüsant, wie du gewisse Dinge machst.
Als wir telefoniert haben, kam es ja auch immer wieder zur Sprache. Da fand ich es interessant, dass du dich davon nicht so einschränken lässt und trotzdem selbstständig bist. Das fand ich gut.

Hattest du Bedenken?
Tiefes Durchatmen… Auf deine Blindheit bezogen? Also ich hatte Bedenken, dass ich dir nicht so gefalle oder wir uns vielleicht nicht so verstehen, aber das hatte nichts mit deinen Augen zu tun.
Ich habe schnell gemerkt, dass ich mit deiner Sehbehinderung ganz gut zurechtkomme. Du hast mir auch das Gefühl gegeben, dass ich recht viel richtig mache. Von daher haben sich da auch keine größeren Bedenken entwickelt.

Musstest du dich in irgendeiner Art umstellen?
Also erstmal finde ich es gut, dass ich bei dir sein kann wie ich bin. Natürlich musste ich mich umstellen, wie dass wenn wir irgendwo langlaufen ich dir sage was dort ist. Umstellen trifft es aber nicht ganz. Ich musste lernen mehr auf einige Dinge zu achten.
Ich nehme dir automatisch, denke ich, mehr Sachen ab und schaue noch einmal mehr ob ein Auto kommt. Allgemein achte ich mittlerweile mehr auf meine Umgebung.

Ich bin generell anders zu dir, aber auch das liegt nicht an deinen Augen.

Wie reagierst du, wenn andere Leute komisch auf meine Behinderung reagieren?
Eigentlich habe ich bisher keine blöden Reaktionen bekommen. Als ich das Bild mit uns an der Ostsee gepostet habe, da hattest du auch deinen Stock draußen, da hat mich ein Freund das erste Mal gefragt ob du blind bist. Da kam nur, dass es cool ist, dass mir das nichts ausmacht und dann aber auch hinterher, dass das gut ist, weil du dann nicht siehst, wie hässlich ich bin.
Ein anderer Kumpel sagte nur: „Das erklärt warum du jetzt auf ihrem Sofa sitzt.“ Dumme Sprüche musste ich mir also anhören, aber wirklich negativ hat eigentlich niemand reagiert.

Wie Fremde darauf reagieren, juckt mich eigentlich nicht. Ich schaue ja auch Menschen an. Also wenn sie gucken, finde ich das nicht schlimm. Als wir letztens im Bus nach Hause waren, saß vor uns ja auch der Polizist mit den vielen Auszeichnungen. Als wir uns über deinen Stock unterhalten haben und was man noch damit machen kann, war er auch mehr interessiert. Sowas fällt mir eher auf.

Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Deine Blindheit spielt eigentlich kaum eine Rolle. Ja, manche Sachen laufen anders, aber in jeder Beziehung muss man sich an Sachen anpassen.

Jedem der mich nach einem Tipp zum Umgang mit Menschen mit Sehbehinderung fragen würde, würde ich nur raten etwas aufmerksamer bzw. achtsamer zu sein. Man sollte Rücksicht nehmen, das sollte man aber sowieso. Wenn man etwas nicht versteht, dann sollte man fragen und am wichtigsten: verpieselt euch vom Leitstreifen.

(Artikel von Sophie Heinicke)

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