… und was das Ganze mit Blindheit, Rollstühlen und Chancengleichheit zu tun hat.
Stell dir vor, du gehst mit ein paar Leuten ins Kino. Alle zahlen den gleichen Eintritt, sitzen im gleichen Saal und schauen den gleichen Film. Aber nach dem Film bekommst du nicht das ganze Popcorn, sondern nur die Hälfte – einfach so, weil du eine Behinderungsform hast. Klingt absurd? Willkommen im echten Leben – oder besser gesagt: Willkommen beim Disability Pay Gap.
Ihr habt sicherlich schonmal vom Gender Pay Gap gehört. Dieser ist unserem Disability Pay Gap sehr ähnlich. Er bezeichnet das Phänomen, dass Frauen bei gleichen Voraussetzungen nicht selten schlechter bezahlt werden.
Beim Disability Pay Gap verdienen Menschen mit Behinderung im Durchschnitt weniger Geld als Menschen ohne Behinderung – und zwar bei gleicher Arbeit, gleicher Qualifikation und manchmal sogar bei mehr Einsatz. Kurzum ist es also die Lohnlücke zwischen Menschen mit und ohne Behinderung.
Diese Lücke gibt es fast überall auf der Welt – und sie ist größer, als du vielleicht denkst. In Deutschland verdienen laut Studien Menschen mit Behinderung bis zu 20 % weniger als nicht-behinderte Kolleginnen und Kollegen. Bei schwerbehinderten Menschen oder jenen mit mehrfacher Beeinträchtigung kann das sogar noch mehr sein.
Aber warum ist das so?
Tja, hier kommt der unangenehme Teil: Der Grund ist meistens nicht mangelndes Können oder fehlende Ausbildung – im Gegenteil. Viele Menschen mit Behinderung sind hochqualifiziert, motiviert und bringen eine Menge Erfahrung mit. Das Problem ist eher:
1. Vorurteile und Klischees: Sätze wie „Das ist doch zu anstrengend für sie“ oder „Das kann er mit der Sehbehinderung bestimmt nicht leisten“ sind leider keine Seltenheit. Arbeitgeber unterschätzen oft die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung – vor allem bei „unsichtbaren“ Einschränkungen, wie Sehbehinderungen.
Nur weil jemand mit einem Blindenstock unterwegs ist, heißt das noch lange nicht, dass er nicht mit komplexen Excel-Tabellen umgehen oder einen Vortrag auf einer internationalen Konferenz halten kann.
2. Barrieren – nicht nur baulich: Fehlende Aufzüge, keine Screenreader-kompatiblen Programme, kein barrierefreier Arbeitsplatz – all das kann Menschen mit Behinderung vom Zugang zum Arbeitsmarkt abhalten oder einschränken. Wer es trotzdem schafft, wird oft in Jobs gesteckt, die unter dem eigenen Qualifikationsniveau liegen – und dementsprechend schlechter bezahlt werden.
3. Teilzeit und unsichere Jobs: Viele Menschen mit Behinderung arbeiten in Teilzeit – nicht unbedingt, weil sie wollen, sondern weil es oft keine passenden Vollzeitstellen gibt oder weil gesundheitliche Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt werden. Dazu kommen befristete Verträge, Praktika statt echter Jobs oder Beschäftigungen in sogenannten Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderung teilweise unter Mindestlohn arbeiten – ja, du hast richtig gelesen: unter Mindestlohn.
Übrigens: In Deutschland arbeiten rund 300.000 Menschen in Werkstätten und erhalten im Durchschnitt 220 Euro monatlich. Das macht einen Mindestlohn von rund 1,46 Euro – lediglich ein Achtel des Mindestlohns.
Warum Menschen mit Behinderung öfter von Armut betroffen sind, muss man in diesem Zusammenhang wohl nicht mehr weiter ausführen.
Was hat das mit blinden und sehbehinderten Menschen zu tun?
Ziemlich viel! Menschen mit Sehbehinderung erleben auf dem Arbeitsmarkt oft gleich mehrere Hürden:
• Fehlende digitale Barrierefreiheit: Viele Programme, Websites und Arbeitsplattformen sind nicht mit Screenreadern kompatibel. Wenn der Computer aber ständig “Unbekanntes Objekt” sagt, wird’s mit dem Bewerbungsschreiben oder dem Monatsbericht schwierig.
• Misstrauen gegenüber technischer Hilfsmittel: “Wie willst du das machen, wenn du den Bildschirm nicht sehen kannst?” ist eine Frage, die viele Blinde regelmäßig hören. Dabei gibt es längst Technologien, die das ermöglichen – von Sprachausgabe bis zu taktilen Displays.
• Wenig Sichtbarkeit (kein Wortspiel): Viele Personalverantwortliche haben schlicht keine Erfahrung mit blinden Mitarbeitenden und trauen sich deshalb nicht, jemanden einzustellen. Und so bleibt das potenzielle Talent auf der Strecke – und im Zweifelsfall auf dem Minigehalt sitzen.
Zwar offensichtlich, aber: Warum ist das ein Problem?
Ganz einfach: Weil es ungerecht ist. Wenn zwei Menschen die gleiche Leistung bringen, sollten sie auch das gleiche verdienen. Punkt.
Außerdem: Wenn Menschen mit Behinderung systematisch weniger verdienen, hat das nicht nur finanzielle Folgen – es wirkt sich auch auf das Selbstwertgefühl, die Altersvorsorge und die gesellschaftliche Teilhabe aus. Wer weniger verdient, kann sich weniger leisten, lebt häufiger in Armut und hat weniger Chancen, ein unabhängiges Leben zu führen.
Was müsste sich ändern?
Hier ein paar Dinge, die helfen könnten – nicht nur ein bisschen, sondern richtig:
• Faire Löhne und transparente Gehälter: Unternehmen sollten prüfen (und veröffentlichen!), ob Menschen mit und ohne Behinderung gleich bezahlt werden.
• Barrierefreiheit am Arbeitsplatz: Digitale und bauliche Barrieren abbauen, damit jede und jeder das gleiche Werkzeug zur Verfügung hat.
• Schulungen für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber: Damit nicht immer wieder dieselben Vorurteile entscheiden, wer den Job bekommt – und wer nicht.
• Stärkere gesetzliche Regelungen: Hier haben wir ein schönes Beispiel, dass der Markt nicht alles von allein regelt. Wobei… Für gewisse Unternehmen hat die aktuelle Situation natürlich Vorteile. Unternehmen, wie Porsche, können kostengünstig in Deutschland produzieren und sich selbst die Schulter tätscheln. Schließlich haben sie ja etwas für die armen Behinderten gemacht. Ein fairerer Weg wäre es doch aber staatlich Mindeststandards festzusetzen und auch lückenlos durchzusetzen – z. B. dass Werkstattbeschäftigte endlich einen fairen Lohn bekommen.
• Mehr Sichtbarkeit und Vorbilder: Wenn mehr Menschen mit Behinderung in sichtbaren Positionen arbeiten, ändert sich auch die allgemeine Wahrnehmung. Dann sind wir vielleicht nicht mehr die Armen, die man fragt, ob und wie Dinge überhaupt funktionieren.
Fazit – oder: Es geht ums Prinzip
Der Disability Pay Gap ist keine kleine Nebensache. Er zeigt, wie tief Vorurteile, Unwissenheit und strukturelle Ungleichheiten in unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Menschen mit Behinderung – egal ob blind, im Rollstuhl, mit Hörbeeinträchtigung oder chronischer Krankheit – haben genauso das Recht auf faire Bezahlung, berufliche Chancen und finanzielle Sicherheit wie alle anderen.
Und mal ehrlich: Wenn wir es schaffen, auf dem Mars zu landen und Künstliche Intelligenz zu entwickeln, dann sollten wir es doch wohl hinkriegen, auch im Büro endlich gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit zu schaffen – oder?