Cripping Up – Behinderung als Filmrolle

Eine Behinderung kann kompliziert sein, gerade, wenn sie neu aufgetreten ist. Andere Menschen können kompliziert sein im Umgang mit Behinderung. Hier könnt ihr Erfahrungen austauschen.
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Cripping Up – Behinderung als Filmrolle

Beitrag von Sophie Heinicke » 24.02.2025, 14:18

Stell dir vor, du bist ein aufstrebender Schauspieler oder eine Schauspielerin mit einer Behinderung. Du hast hart gearbeitet, dein Talent geschliffen und wartest nun auf die Chance, eine Rolle zu ergattern, die deine Realität widerspiegelt. Doch dann siehst du, wie ein nicht-behinderter Kollege für genau diese Rolle engagiert wird, sich vielleicht in einen Rollstuhl setzt oder eine Sehbehinderung imitiert – und dafür auch noch Standing Ovations und Preise kassiert. Willkommen in der Welt des “Cripping Up”.

Was zum Henker ist “Cripping Up”?
“Cripping Up” bezeichnet die Praxis, bei der nicht-behinderte Schauspielerinnen Rollen von Menschen mit Behinderung übernehmen. Der Begriff setzt sich aus “crip” (einer Rückaneignung des abwertenden Begriffs “Krüppel”) und “up” zusammen und spielt darauf an, dass es als hohe Kunst gilt, eine Behinderung darzustellen. Während “Blackfacing” – also das Darstellen von People of Color durch weiße Schauspielerinnen – mittlerweile (zu Recht) als absolutes No-Go gilt, scheint “Cripping Up” in der Film- und Theaterwelt noch immer akzeptiert zu sein. 

Warum ist das ein Problem?
Ausschluss vom Arbeitsmarkt:
Menschen mit Behinderung sind in der Schauspielbranche ohnehin unterrepräsentiert. Wenn dann auch noch die wenigen Rollen, die ihre Lebensrealität widerspiegeln, an nicht-behinderte Schauspieler*innen vergeben werden, bleibt für sie kaum Platz. 

Stereotype Darstellungen:
Nicht-behinderte Schauspieler*innen neigen dazu, Behinderungen klischeehaft darzustellen, was oft zu verzerrten und unrealistischen Bildern führt. Das festigt Vorurteile und Missverständnisse in der Gesellschaft. 

Fehlende Authentizität:
Egal, wie intensiv sich eine Schauspielerin vorbereitet – die gelebte Erfahrung einer Behinderung lässt sich nicht nachahmen. Das Resultat ist oft eine oberflächliche Performance, die dem echten Leben nicht gerecht wird.

Aber Schauspielerei bedeutet doch, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, oder?
Klar, Schauspielerei dreht sich um Transformation und das Verkörpern unterschiedlicher Charaktere. Aber es gibt einen Unterschied zwischen der Darstellung einer anderen Persönlichkeit und der Aneignung einer Identität, die mit spezifischen Lebenserfahrungen und oft auch Diskriminierung verbunden ist. Behinderung ist keine Rolle, die man für zwei Stunden annimmt und dann wieder ablegt; sie ist eine Lebensrealität. 

Die Ironie der Auszeichnungen
Es ist schon bemerkenswert: Schauspielerinnen, die eine Behinderung darstellen, werden oft mit Preisen überhäuft. Laut einer Studie von 2012 spielten 16 Prozent aller Oscar-Gewinner Rollen mit einer Behinderung oder psychischen Krankheit. Das zeigt, wie sehr diese Darstellungen in der Branche gefeiert werden – während echte Schauspielerinnen mit Behinderung kaum Beachtung finden. 

Was sollte sich ändern?
Authentische Besetzungen:
Rollen von Menschen mit Behinderung sollten bevorzugt mit Schauspieler*innen besetzt werden, die selbst eine Behinderung haben. Das sorgt für authentischere Darstellungen und bietet gleichzeitig Chancen für diese oft marginalisierte Gruppe.

Mehr Inklusion hinter den Kulissen:
Nicht nur vor der Kamera, sondern auch in Drehbuchteams, Regie und Produktion sollten Menschen mit Behinderung vertreten sein, um vielfältige Perspektiven einzubringen.

Sensibilisierung der Branche:
Es braucht ein Umdenken in der Film- und Theaterwelt, weg von der Idee, dass das Darstellen einer Behinderung die “ultimative schauspielerische Herausforderung” ist, hin zu echtem Verständnis und Respekt für die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderung.

Fazit
“Cripping Up” ist mehr als nur eine fragwürdige Casting-Entscheidung; es ist ein Symptom für tief verwurzelte Vorurteile und Ausschlussmechanismen in unserer Gesellschaft. Es ist an der Zeit, die Bühne für alle zu öffnen und echte Inklusion zu leben – sowohl in der Kunst als auch im echten Leben.

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