Hat Humor Grenzen?

Eine Behinderung kann kompliziert sein, gerade, wenn sie neu aufgetreten ist. Andere Menschen können kompliziert sein im Umgang mit Behinderung. Hier könnt ihr Erfahrungen austauschen.
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Hat Humor Grenzen?

Beitrag von Sophie Heinicke » 02.10.2024, 14:55

Es gibt wohl nichts Schöneres als ein ehrliches Lachen. Wir lachen in den unterschiedlichsten Momenten: wenn uns mal wieder ein Missgeschick passiert ist, über Flachwitze oder auch einen gut aufgebauten Gag. Dabei finden natürlich nicht immer alle alles lustig.

Humor ist abhängig von vielen Faktoren. Es macht einen Unterschied wer den Witz macht und wer lacht, wie, wann, in welcher Situation und wo gescherzt wird.

- Wo: Es gibt Orte da hält man sich zurück, wie zum Beispiel auf Beerdigungen.
- Wann: Humor muss auch zeitlich gesehen werden. Wenn Krisen noch frisch sind, finden Betroffene es oft nicht lustig. Wer gerade eine geliebte Person verloren hat, der möchte vielleicht keine Witze über den Tod hören.
- Wie: Es macht einen Unterschied ob man über eine Person oder Gruppe oder mit ihnen lacht. Wenn sich über eine Person/Gruppe lustig gemacht wird, die darauf in dem Moment nicht reagieren kann (da sie z.B. nicht anwesend ist), so wird das schnell als unangenehm, beleidigend oder sogar diskriminierend empfunden.
- Aber vor allem wer: Natürlich gibt es einen Unterschied wer den Witz macht. Wenn Menschen mit Behinderung sich über ihr Leben lachend austauschen betrifft es sie und kann auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgehen. Sie tragen auch selbst die Konsequenzen, da sie im Optimalfall für sich allein sprechen.
Es gibt auch einen Unterschied wer lacht. Angehörige und Freunde dieser selbst-betroffenen Scherzkekse haben einen ganz anderen Einblick in die Lebensrealitäten. Für beide kann es eine Art sein mit solchen Situationen umzugehen.
Wenn andere lachen, kann das wie oben beschrieben schnell abwertend wirken und auf Unmut stoßen.

Aber was ist passiert?
Stellt euch die folgenden Worte mit viel blödem Gelächter und einigen nachäffenden Gesten im Hintergrund vor.
„Ich rede über die Paralympics ja auch in meiner Show. Ein tolles Event für Inklusion.“ – Hier hätte Luke Mockridge stoppen sollen.
„Der Erste der die Idee hatte, das ist schon abgefahren, der erste der ein anderes Land angerufen hat und sagte: Hey, ihr kennt doch die olympischen Spiele. Ich habe eine ähnliche Idee. Ihr habt doch auch Behinderte in eurem Land. Wollen wir mal schauen wer schneller ist. Die in einem Wettrennen gegeneinander. Die Idee ist Wild.
Es gibt Leute ohne Beine und ohne Arme. Die wirft man in ein Becken.“
Die Deutschen-Podcast: „Da ertrinken die doch?“
Antwort Luke Mockridge: „Ja und der, der als letztes ertrinkt hat gewonnen.“

Es gab noch einige weitere Dinge. Die Typen aus dem Podcast lachten auch hämisch und meinten, dass sie bei den Spielen mitmachen sollten und in allen Kategorien gewinnen würden, denn „die“ hätten ja auch nur so komische Hände.

Ist das lustig? Fällt das unter die Kategorie „Schwarzer Humor“? Viele sagen nein und auch viele Leute der Social-Media-Welt sahen hier eine Grenze überschritten.

Schauen wir uns doch einfach ein paar Äußerungen an.

„Luke Mockridge hat etwas menschenfeindliches gesagt.“ – von @WasTaraSagt
„Er sollte wissen, wie er sich zu verhalten hat, wenn er in einer öffentlichen Position steht. Das ist abartig. Das ist für diese Menschen zwei Sekunden lachen, für andere, ist dies Schmerz, denn sie hören das tagtäglich.“ – von @Maurice.Kieren
„Die wussten genau, was die da machen. Denen war bewusst, dass sie einen Shitstorm bekommen. Das kann mir keiner sagen, dass sie dachten das ist total lustig. Denen muss zumindest jemand im Team das gesagt haben und die dachten: Geil laden wir hoch. Das ist immer noch Promo.
Ich glaube die beiden Podcaster haben gerade auch eine Tour zu promoten. (…) Die Entschuldigung von Luke: Er sagt ja er hätte schon ganz viel mit Behinderten zu tun gehabt und gemerkt, dass die einen ganz schwarzen Humor zu ihrer Thematik haben. Er findet es schade, dass er das jetzt auch nicht machen kann. Das fand ich so eine schlimme Aussage, denn im Moment wo Menschen aus einer Randgruppe Schwule, Trans-Menschen, Menschen mit Behinderung usw. sich über sich selbst lustig machen, da reclaimen sie das. Wenn ich das S-Wort für mich als schwuler Mann in meiner Community verwende, reclaime ich das. Du hast keine Berechtigung es zu nutzen. Genau so ist das, wenn Menschen sich über ihre Behinderung lustig machen. Das ist ein Coping-Mechanismus der Community. Da hast du nichts drin zu suchen. (…) Ich finde es ist eine Grenze erreicht, weil es Absicht war nur um wieder in die Schlagzeilen zu kommen.“ – von @CandyCrash

Lukes Entschuldigungsversuch
„Er macht einen Post, aber zu dem Text hat er beschlossen noch ein Video zu posten. Er postet ein Video, wo er am Anfang so ein bisschen Alibi-mäßig sagt: „ich finde das toll, dass es die Paralympics gibt“ und nicht mal 10 Sekunden später sagt er: „ihr habt doch so Kleine, gebt den mal Zahnstocher und dann schmeißen die die.“ Der erste Satz in seinem geschriebenen Statement: „Es war nie meine Absicht Menschen mit Behinderung ins lächerliche zu ziehen. WTF! Alles ist einfach nur lustig machen darüber, dass sie klein sind. Dazu dieser Text… ich bin ratlos, wie man das machen kann.“ – von @Rezo

Luke Mockridge hat seinen ersten Entschuldigungspost übrigens gelöscht. Vielleicht hat er verstanden, dass sein Statement daneben war, aber nach dem zweiten zu urteilen nicht ganz. Er gesteht ein, dass sein Witz komplett daneben war und er zurecht kritisiert wurde. Er sagt zwar, dass er die Podcaster dazu auffordert, dass Video zu löschen und alle Konsequenzen akzeptiert, verweist in dem größeren Rest des Statements aber darauf, dass es nicht richtig war, wie er und seine Liebsten behandelt wurden. Das stimmt sogar. Man bedroht keine Familienangehörigen und Veranstalter. Das wie scheint Luke jedoch mehr zu interessieren als das warum. „Wenn eine Entschuldigung nichts mehr wert ist und wir nur noch denen glauben, die sich am lautesten beschweren und die krassesten Drohungen aussprechen, dann sind drei Idioten die in einem Podcast sitzen, das kleinste Problem.“

Am 12. September sollte eigentlich Lukes neue Show „Was ist in der Box“ auf Sat.1 starten. Diese wurde (da er Gastgeber sein sollte) erstmal auf Eis gelegt. „Die Aussagen zu behinderten Menschen und Parasportlern über die sich viele Menschen zurecht empörten, gehört nicht zu unseren Werten.“ Luke soll sich erst einmal überlegen, wie er denn Karren selbst aus dem Dreck zieht. Ob die mittelmäßigen Entschuldigungsposts da reichen ist fraglich.

Übrigens: Auch Babbel hat das Sponsoring des die Deutschen-Podcasts aufgelöst.

Aus der Behinderten-Community
Die bisherigen Statements waren von nicht behinderten Personen. Schauen wir uns mal an, wie die Disability-Community reagiert hat.

„Die Deutschen Podcast macht sich lustig über uns, über uns Eingeschränkte. Dabei werden Körperteile nachgemacht. Es wird auf Erfolge eingegangen und sie in die unterste Schublade gepackt. (…) Es tut mir leid, dass schon wieder jüngere Zuschauer sowas gesehen haben und sich wahrscheinlich darüber kaputtlachen. Und dann wundert man sich warum es vor allem Jugendliche mit Einschränkung schwer haben. Danke für nichts!“ – von @Melis AKG

Dieses Statement wurde direkt an Luke Mockridge gerichtet: „Ich muss dir sagen, dass es nichts mit schwarzem Humor zu tun hat, wenn du Menschen ihre Leistungen absprichst und sie in deiner Vorstellung aufgrund ihrer Behinderung ertrinken. (…) Diese ganze Rechtfertigung die du später auch auf Instagram gepostet hast, hört sich für mich so ein bisschen wie dieses Argument an: Ich kann ja gar nicht rassistisch sein, denn ich habe ja schwarze Freunde und darf alles sagen.
Ja, Mitleid ist ein Problem, aber das Problem dahinter ist ja auch, dass wir nur für unsere Behinderung gesehen werden. Wir wollen also kein Mitleid von dir, aber auch nicht, dass du über unsere Behinderung hinwegsiehst und denkst, du kannst darüber Witze machen. Es gibt auch etwas zwischen Mitleid und Nicht-Ernst-Nehmen.“ – von @Mary:)

„Ich wusste ja noch gar nicht, dass die hauptberuflichen Klassenclowns darum battlen, wer die behindertenfeindlichsten Sprüche klopfen kann. Aber herzlichen Glückwunsch: Du hast Felix Lobrecht vom Thron gestoßen. Du bist ein richtiger Spaßvogel, wie du die Paralympischen Spiele nicht als Hochleistungswettkampf, sondern als internationale Freakshow hinstellst. Und krasse rhetorische Meisterleistung, wie du nur von den Behinderten nur in syntaktischer Objektposition sprichst. Kurze Frage: Wie klein muss ein Ego sein, wenn man nur auf Kosten von marginalisierten Gruppen überhaupt witzig sein kann. Wann haben wir eigentlich den Punkt in der Comedy-Branche erreicht, dass weiße Bubi-Face-Männer ableistischen Müll sagen können und es mit schwarzem Humor legitimieren?“ – von @Mechthild

Aber natürlich haben wir alle, die wir uns geäußert haben, nicht nur Verständnis erhalten. Diese Kommentare haben wir wohl alle gelesen: „Darf man denn jetzt gar keine Witze mehr über Behinderte machen? Behinderte haben keinen Humor! Das sind die Kommentare die ich zu meinem letzten Video bekommen habe. Hier kommen drei Gründe warum ich es kritisch sehe:
Lachen dürfen wir, aber halt nicht auslachen. Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. Wenn ich mit Freunden zusammensitze und ein Kumpel von mir macht sich über meine Behinderung lustig – und ich natürlich auch über ihn – dann ist das unser Safe-Space
Luke Mockridge und die beiden anderen haben eine Vorbildfunktion. Sie haben eben eine Verantwortung.
Ich kann über mich lachen, aber mit solchen Aussagen werden Vorurteile gefestigt und Diskriminierung und Rassismus verbreitet. Das festigt sich auch in der Sprache. Es macht also einen Unterschied wer und wie der Witz gemacht wird.“ – von @WayLongVan

Aber natürlich haben sich auch einige Paralympische Sportler und Sportlerinnen zu Wort gemeldet. Der kleinwüchsige Sportler auf den Luke Mockridge sich in seiner ersten Entschuldigung bezieht, hat übrigens gesagt, dass er das auch gar nicht gut fand.

„Mich hat das Video wirklich aus den Latschen gehauen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass während der Paralympischen Spiele so ein diskriminierendes, verachtendes, von oben herab wirkendem Video von einem deutschen eigentlich, doch manchmal recht witzigen Comedian, veröffentlicht wird. Ich finde es bodenlos. Das geht gar nicht.“ - Johannes Floors, Paralympischer Sportler

„Unter uns Sportlern oder uns Para-Athleten, wir reißen wirklich bodenlose Witze. Das ist wirklich ein Humor, den nur wir teilen und der uns auch letztendlich verbindet. Wenn dann von Außen Leute kommen und auf die Weise Witze über uns machen und es ins Lächerliche ziehen – immens ins Lächerliche ziehen – das ist unangenehm.“ - Nele Moos, Paralympische Sportlerin

Reaktionen der Clowns
Nizar und Shayan, die Jungs des „Die Deutschen-Podcasts“, haben sich übrigens auch entschuldigt. Naja, eigentlich nicht. Über ihr Statement sollten wir noch dringend reden.

Man sieht zwei scheinbar erwachsene Männer, welche zu Beginn des Videos so tun als würden sie sich entschuldigen. Im Anschluss brüllen sie „Timmi“ – ein Ausruf des behinderten Jungen aus South Park – und schimpfen, dass sie sich nie entschuldigen werden und jetzt erst recht. Wir, die Creatoren im Netzt sowie tausende Menschen die das blöd fanden, wollten wohl ein Bild von ihnen zeichnen. Wir, das sind übrigens auch die Leute mit Behinderung, welche kritisiert haben, dass das ein Treten nach unten war. Sie jammern, dass wir ein Bild von ihnen zeichnen wollen und sie canceln möchten. Sie glauben uns unsere Aufregung nicht, denn aufgrund ihres Podcasts wurde ja niemand angespuckt bzw. entwürdigt. Das Mimimi ist schwer zu ertragen, wenn man sich überlegt, dass sie die Situation selbst geschaffen haben. Das Hinweisen auf ihre Respektlosigkeit fassen sie nur als Hate auf.
Sie sind der Meinung: Ein geschmackloser Witz zerstört keine Existenzen. Aber doch! Doch das tun sie. Menschen die von der Norm abweichen, sei es durch eine Behinderung, ihre Optik, ihre sexuelle Orientierung etc. sind häufig Mobbing ausgesetzt. Das bezieht sich nicht nur auf die Kindheit, sondern zieht sich bis ins hohe Alter. Menschen die so etwas erleben leiden. Sie leiden unter ihren Erinnerungen, möglichen sozialen Problemen, öfter an psychischen Erkrankungen und nehmen sich statistisch auch öfter das Leben. Die Witze dieser Clowns normalisieren eine respektlose Sprache und geben anderen Leuten das Gefühl, dass so etwas okay und lustig ist.

Mein persönliches Highlight war: „Ihr widert mich an. Nicht eure Körper, sondern eure Seele ist beeinträchtigt.“ Spannend, wie sie es geschafft haben in einem klärenden Statement noch respektloser zu sein als es die Leute vorher dachten.

Man sollte übrigens immer im Hinterkopf behalten, dass wir hier nicht von drei kleinen Jungs reden. Es geht um erwachsene Männer, welche sich bewusst für diese Statements entschieden haben. Jeder Mensch macht Fehler und geht manchmal zu weit. Erwachsen wäre es gewesen sich das einzugestehen und nicht noch trotzig allen Menschen vor die Füße zu spucken. Den eigenen Kindern hätte man doch das Telefon weggenommen und sie zum Nachdenken auf ihr Zimmer geschickt.
Sie verdienen als Konsequenz nur viel Geld und erhalten Aufmerksamkeit. Ob sie daraus also lernen ist fraglich.

Wir wollen doch eigentlich nur, dass alle lieb miteinander sind. Wir alle wollen unsere Rechte behalten und das als Cancel-Culture abzutun ist doch ziemlich leicht gedacht. Wir müssen alle lernen und Fehler sind menschlich, aber Empathie kann sich nur entwickeln, wenn man auch dazu lernen will.

Ein Zitat zum Schluss
„Ich finde das, was bei den Paralympischen Spielen passiert spektakulär. Es ist vielleicht das wichtigste Sportevent der Welt. Wenn jetzt wieder die Diskussion kommt Comedy darf alles: ne darf sie nicht. Humor ist etwas befreiendes und Schönes. Das was wir hier erleben ist deformieren und über Menschen lustig machen, die es oft schon sehr schwierig haben. Abgesehen davon sehen wir bei den Paralympics Hochleistungssportler, die Leistungen erbringen vor denen wir alle nur den Hut ziehen können. Da sitzen aber Drei, die finde ich sehr menschenverachtend unterwegs sind, und nur weil Luke und die anderen beiden kichern, wie 2-3 kleine Jungs, die Schokolade geklaut haben, macht es das ja nicht besser. Es geht nicht um Cancel Culture sondern darum, dass man mal reflektieren sollte was da eigentlich passiert. Ich finde es wirklich beschämend und beklemmend, dass sowas überhaupt noch passiert 2024.
Und übrigens wenn Menschen mit Behinderung selbst Witze machen hat das einen ganz anderen Drive. (…) Dann will ich Comedy noch einmal erklären: Comedy braucht eine Ponte. Hier gibt’s keine.“ – von Martin Rütter

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