Die letzten Ausgaben starteten wir in Reimform. Dieses Mal gibt es einen Poetry-Slam-Beitrag eines Inklusionsaktivisten. Kai Boschs Beitrag habe ich eines späten abends auf TikTok gefunden und möchte ihn nun mit euch teilen.
Du sprichst ja viel langsamer, denkst du dann auch langsam? Du bekommst mehr Zeit für die Klausur. Wie unfair! Ich möchte auch behindert sein. Und bist du behindert oder was?!
All das sind Aussagen mit denen ich mich schon auseinandersetzen musste. Meine Antworten hätten lauten sollen: Naja, du hast zumindest gerade viel zu schnell gesprochen und zu langsam gedacht. Wenn du mehr Zeit für die Klausur bekommst, benötigst du auch mehr Zeit für alles andere. Dieser Tausch ist eher so mitti und mit mitti meine ich scheiße. Was ist denn los mit dir? Ja, bin ich, super erkannt Sherlock. All das habe ich nicht gesagt, schade.
Worauf ich hingegen stolz bin, ist folgende Antwort auf eine Frage von einer Schülerin aus der Parallelklasse, die meinte: „Es ist so unfair, dass du keine Note im Hundert-Meter-Sprint bekommst. Ich würde mir so gerne ein Bein brechen, denn Sport versaut voll meinen Schnitt.“ Daraufhin habe ich gesagt: „Weißt du was deinen Schnitt versaut? Deine Leistung… und dein Friseur.“
Aber ja, dass ist es was in Bezug auf meine Behinderung gesehen wird: Langsamkeit und ein vermeintlicher Vorteil. Was hingegen nicht gesehen wird, früher fuhren alle in den Sommerferien in den Urlaub und ich ins Krankenhaus.
Folgendes ist mir ganz wichtig. Nun bin ich Inklusionsbotschafter, doch ich kann hier ja nur für mich sprechen. Schließlich habe ich nur einen Mund und einen Kopf. Hätte ich sieben Köpfe und sieben große Schnauzen, dann könnte ich wenigstens verstehen, wieso ich auf der Straße oftmals sekundenlang irritiert angestarrt werde. Wobei, ich glaube, dieses Rätsel habe ich gelöst. Schließlich schaue auch ich besonders schönen Menschen gelegentlich einen Moment nach.
Mir ist bewusst, dass es zahlreiche sichtbare und unsichtbare Behinderungen gibt und zahlreiche unterschiedliche Bedarfe. Mir ist auch bewusst, dass das verunsichern kann. Wenn ihr aber nicht sicher seid, wie ihr reagieren sollt, dann fragt am besten nach und macht nicht einfach nichts.
Häufig wird mir gesagt, um am Leben teilzunehmen, sei ich abhängig von anderen. Und ja, das stimmt. Ich bin abhängig, denn ich hänge gerne ab - am liebsten mit anderen. Und außerdem will ich ja auch nicht nur teilnehmen, ich möchte teilhaben, denn wenn ich bereits habe, muss ich nicht mehr nehmen. Das Leben ist ja nicht wie die Bundesjugendspiele, es gibt keine Teilnehmerurkunde für alle die es in den Augen der Gesellschaft nicht zu Sieg und Ehre gebracht haben.
Wenn ich feiern bin, halten mich viele Leute aufgrund meines Gangbildes für betrunken. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass auch Menschen mit Behinderung am Wochenende einen schönen Abend haben und weggehen wollen. Einen positiven Nebeneffekt hat das Ganze, deshalb habe ich aufgehört Alkohol zu trinken… okay, wem mache ich hier etwas vor, deshalb werde ich irgendwann aufgehört haben Alkohol zu trinken, denn sonst hätten diese Leute ja auch noch recht.
Die nächste Person, die mir sagt, sie möchte auch behindert sein, wird von mir eingeladen. Eingeladen mich nicht in diese Schublade einzuladen. Eingeladen, wie die Topfpflanze in mein Zimmer. Denn genau wie bei dieser Topfpflanze, keimt in mir etwas. Es ist die Hoffnung auf ein respektvolles Miteinander auf Augenhöhe. Heute machen wir den Anfang, denn dieser Appell wird gehört und dieser Auftritt wird gesehen.
Und er wird gefühlt
Und nicht nur das: Dieser Beitrag wird geteilt, gelesen und gefühlt – sowohl mit den Fingern als auch mit dem Herzen.
Gerade der Punkt zur Teilhabe hat mich persönlich berührt. Es ist manchmal sehr ermüdend immer wieder Dinge einfordern zu müssen, gegen bürokratische aber auch menschliche Barrieren anzukämpfen. Dabei könnte das Leben so einfach sein, wenn man nach ein paar kleinen Kinderweisheiten handeln würde, wie: Was du nicht willst, dass man dir tu, dass füg auch keinem anderen zu. Umgekehrt bedeutet es dann auch: So wie du behandelt werden willst, solltest du andere behandeln.
Wir möchten alle teilnehmen. Teilnehmen am Leben mit Spaß und einem Lächeln auf den Lippen. Mein Vater hat immer gesagt: „Es ist egal, wie du heute, morgen oder in Zukunft siehst. Im Leben kommt es schlussendlich nur darauf an, wieviel du gelacht hast. Und wenn das eine nicht mehr so funktioniert, dann halt anders.“ Das müssen wir den Leuten begreiflich machen.
Falls ihr TikTok oder Instagram habt solltet ihr Kai Bosch unbedingt folgen. Sein Name auf Instagram lautet: kairobinbosch
(Artikel aus der Juni-Brücke von Sophie Heinicke, Aufruf von Kai Bosch)
Wenn ich teilhabe, muss ich nicht mehr nehmen
- Sophie Heinicke
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- Registriert: 04.09.2019, 14:12
