Vor Kurzem fragte mich ein Teilnehmer an unserem offSight Camping- und Outdoor-Seminar, ob er sich ein Smartphone mit Dualfrequenz GPS-Chip zulegen soll. Bisher verwenden die meisten Smartphones einen Chip, der Satellitensignale auf nur einer Frequenz empfängt. Moderne Chips können zwei Frequenzen empfangen, was die Genauigkeit in den Centimeterbereich bringen soll.
Die Frage war nun, ob blinde Menschen davon profitieren könnten, also ob eine Navigations-App dann auch centimetergenau ansagen würde, wo man abbiegen soll oder wo sich das Ziel befindet.
Da das Thema Navigation und Verlässlichkeit der Routenführung viele blinde Menschen beschäftigt, greife ich es mal hier im Forum auf.
Zunächst eine Begriffsklärung. Die Leute sagen im Allgemeinen GPS, wenn sie satellitengestützte Navigation meinen. GPS bezeichnet aber nur das US-Amerikanische System. Bis vor Kurzem war es das Einzige, weswegen sich der Begriff GPS eingebürgert hat.
Inzwischen gibt es außer GPS auch das Europäische System Galileo, das Russische System Glonas und Weitere. Da aktuelle Chips all diese Systeme empfangen, spricht man nicht mehr von GPS, sondern von GNSS, Global Navigation Satellite System.
Auch wenn es bei eurem Smartphone immer noch GPS heißt, nutzt es ziemlich sicher alle GNSS Systeme. Ihr könnt das mit der App GNSS View prüfen. Die ist nicht ganz barrierefrei, aber wenn man oben links auf "main position radar button" tippt, findet man unten am Bildschirm die Abkürzungen GPS, Gal, Glo, etc. mit der Anzahl der aktuell empfangenen Satelliten.
In herkömmlichen Chips werden die GNSS Satelliten auf einer Frequenz empfangen, die L1 heißt. Die Satelliten senden aber auch auf einer weiteren Frequenz, die L5 heißt. Mit der L5-frequenz werden Messfehler behoben, die sich durch die L1-Frequenz ergeben. Kann ein Chip beide Frequenzen empfangen (Dualfrequenz), erhöht sich die Genauigkeit der Positionsbestimmung drastisch. Bei idealen Bedingungen kann die Position des Empfängers auf wenige Centimeter genau bestimmt werden.
die eigentliche Arbeit macht dabei der Chip. Die Navi-App verarbeitet nur die vom Chip errechnete Information.
Man könnte also denken, wenn ein Smartphone einen Dualfrequenz-Chip hat, wirkt sich das automatisch auf die Genauigkeit einer auf dem Gerät installierten App aus.
Leider kann man das generell nicht so sagen. Man muss die Arbeitsweise der einzelnen App betrachten.
Wenn die Wander-App Komoot z.B. sagt, "jetzt abbiegen", kann man mit L5 ziemlich sicher sein, dass man sich direkt an der Abbiegung befindet und nicht lange danach suchen muss. In dem Fall profitieren wir also von L5.
Bei Google Maps ist das anders. Hier kommt die Anweisung "Jetzt Abbiegen" weit vor der eigentlichen Abbiegung. Nicht weil die App ungenau arbeitet, sondern einfach weil sie für Autos gemacht ist, die eine solche Distanz viel schneller überwinden, als Fußgänger.
Es gibt zwar einen Fußgänger-Modus, aber der wirkt sich nur auf vorgeschlagene Routen aus, indem er z.B. Parkwege einbezieht. Die Routen-Anweisungen sind die Gleichen, wie für Autos.
In dem Fall macht es für uns keinen Unterschied, wie genau die App im Hintergrund arbeitet, weil wir langsamer sind, als die Routen-Anweisung es voraussetzt. Für ein fahrendes Auto kann "Jetzt" tatsächlich "in der nächsten Sekunde" heißen, aber für einen blinden Fußgänger, der den Weg nicht gut kennt, kann noch eine Minute vergehen, bis er bei der Abbiegung angekommen ist.
Bei einer App wie BlindSquare, die Richtung und Entfernung zu einem Punkt in Echtzeit ansagt, dürfte man den Unterschied deutlich merken. Da das eine reine iOS-App ist, natürlich unter der Voraussetzung, dass das iPhone bzw. die Apple Watch den nötigen Chip hat.
Seit der Apple Keynote am 07.09.2022 wissen wir, dass die dort vorgestellte Apple Watch Ultra einen Dualfrequenz-Chip hat. Alle iPhone-Modelle, auch die in der Keynote vorgestellte 14er-Reihe, haben keinen solchen Chip.
Apple möchte natürlich, dass man sich beides kauft, iPhone und Watch. Ich finde das eine Frechheit - und vor Allem rückständig, weil andere Hersteller das längst anbieten.
Geräte wie das Zenphone 9 und das Xiaomi MI 8 haben bereits Dualfrequenz-Chips an Bord. Ich gehe davon aus, dass das ziemlich bald Standard sein wird.
Fazit: Dualfrequenz-Chips können die Navigation für Blinde verbessern, abhängig von der genutzten App. Bevor man also tief in den Geldbeutel greift und womöglich das Betriebssystem wechselt, sollte man sich genau angucken, welche Apps man nutzt und wie sie arbeiten.
Dazu noch eine persönliche Anmerkung:
Für mich ist die Super-Genauigkeit nicht so wichtig, dass ich dafür viel Geld ausgeben oder das Betriebssystem wechseln würde. Ich hab ja Mobi gehabt und kann damit meine nähere Umgebung erkunden. Und dass man manchmal ein Bisschen suchen muss, gehört halt zum Blindenalltag. Klar, bin ich auch schon mal genervt, aber im Allgemeinen akzeptiere ich, dass es so ist.
Dass es überhaupt Navigations-Apps gibt, finde ich absolut grandios und lebensverändernd. Die paar Meter um mich rum kann ich aber auch aus eigener Kraft bewältigen.
Satelliten-Navigation mit Dualfrequenz - was haben Blinde davon?
- Robbie Sandberg
- DBSV Mitarbeiter
- Beiträge: 137
- Registriert: 18.06.2019, 11:37